To paint is to love again. It’s only when we look with the eyes of love that we see as the painter sees. His is a love, moreover, which is free of possessiveness. What the painter sees he is duty bound to share. Usually he makes us see and feel what ordinarily we ignore or are immune to. (…) Or as John Marin once put it – “Art must show what goes on in the world.” Henry Miller, To Paint Is to Love Again, Alhambra/Cal. 1960, S. 17.

– Henry Miller –

 

Dorothée Brill: In diesem Zitat verbindet Henry Miller nahtlos zwei recht verschiedene Gedankengänge. Zum einen geht es um den liebenden Blick des Malers auf das zu Malende. Zum anderen ist von der Pflicht die Rede, die man als Maler hat, das sichtbar zu machen, was andere nicht sehen oder zu sehen gewillt sind. Malerei soll zeigen, was in der Welt los ist. Inwiefern stimmt das mit eurer Praxis, eurer Erfahrung und eurem Selbstverständnis überein?

Katrin Plavčak: Das mit dem liebevollen Blick auf das Gemalte, das kenne ich auf alle Fälle. Es ist ja so, dass sich das Bild während des Malprozesses entwickelt und zu einer Art Person wird. Das kommt mir oft so vor. Am Anfang ist es noch die Idee, dann fängt man an mit der Umsetzung, und währenddessen entwickelt es sich immer mehr zu etwas, das auch fordert und zu einem Gegenüber wird, zu dem man eine Beziehung aufbaut. Auch dem zweiten Aspekt kann ich zustimmen, durchaus. Ich will die Lage beobachten, in der wir uns befinden. Dabei konzentriert man sich auf einen bestimmten Bereich oder Aspekt des Menschseins. Der ist bei mir vielleicht eher politisch, bei Antje eher anthropologisch.

Antje Majewski: Ich verwirkliche Bilder, die innere Bilder sind und von denen ich nicht so genau weiß, wo sie herkommen. Das ist ein Prozess des In-die-Welt-Holens von Bildern, die aber gleichzeitig auch die Welt beinhalten. Deshalb tue ich mich schwer mit der Idee, dass man die Pflicht habe, das zu zeigen, was in der Welt vor sich geht. Denn das, was man schafft, ist ja selbst Teil der Welt und beinhaltet Welt. Es ist kein Spiegel, der der Welt gegenüber steht. Diese Distanz gibt es nicht. Als Maler ist man nicht einzeln, sondern Teil einer größeren Menge und verwirklicht Dinge, die geteilt werden von Anfang an, also schon während sie entstehen. Wenn du ein Bild machst, bist du ja in einem inneren Gespräch mit sämtlichen Bildern, die du kennst oder die es schon gibt. Du bist aber auch im Gespräch mit der Welt, mit all den Menschen und Meinungen, Filmen, Büchern …

Giovanna Sarti: Ja, es gibt eine Interdependenz zwischen dem Selbst und allem, was um dieses Selbst herum ist, mit anderen Menschen und allem, was schon gewesen ist. Alles hat eine Wechselwirkung. Man ist in dem Moment ein Punkt zwischen dem, was schon gewesen ist, und dem, was neu gemacht wird. Die Malerei hat – so sehe ich das – eine eigene Sprache, und nur in dieser Sprache lässt sich manches verwirklichen, zeigen. Ich empfinde das Malen nicht als Pflicht, aber durchaus als Aufgabe. Es ist eine Möglichkeit, etwas zu verwirklichen und neu zu erschaffen, eine Fähigkeit, die nur der hat, der diese Sprache benutzt. Aber es ist keine Pflicht – Pflicht ist mir zu stark in Bezug auf Malerei –, sondern eher eine Möglichkeit.

AM: Für mich ist wichtig, dass der Blick auf das, „was so in der Welt vor sich geht“, immer ein synchroner und diachroner Blick ist. Hinter jedem meiner Bilder steht eine künstlerische Forschung, manchmal eine Vorarbeit von drei, vier Jahren, in denen ich mich mit einem bestimmten Thema beschäftige. Das, was dann entsteht, sind Themen, die eine Tiefe in der Zeit haben. Sie ziehen sich über mehrere Jahrhunderte. Oder sie ziehen sich auch über mehrere Kontinente. Sie sind nicht so gebunden an den heutigen Tag hier in Deutschland, sondern versuchen, Dinge zu untersuchen, die für Menschen wichtig sind – über längere Zeiträume und Gegenden hinweg. Wir nehmen immer an, wir leben in einem Punkt. Dass wir diesen Punkt aber überhaupt wahrnehmen können, liegt ja daran, dass wir eine Geschichte haben, und diese Geschichte ist nie nur die eigene persönliche Geschichte. Sie ist immer die Geschichte des Geflechts, in dem wir leben. Das eigene Ich ist also gar nicht so personell.

KP: Es gibt natürlich ganz unterschiedliche Zugänge zur Malerei und zum Malen. Da ist das eher konzeptuelle Arbeiten, das Sammeln von Material, oder eben das intuitivere Vorgehen. Ich glaube, man kann das Malen nicht mehr primär als einen Akt sehen, der einfach so dahingeht, irgendwie loslegt, aus dem Bauch heraus. Das ist nur selten der Fall. Man sammelt vorher Informationen auf verschiedenste Art und Weise, in der Recherche oder anders, vielleicht eben mit diesem Blick, mit dem man durch die Welt geht. Ich habe zum Beispiel eine Reihe von Ordnern im Regal stehen, auf ihnen stehen Überbegriffe wie „Tier“, „Mensch“, „Weltall“, „Politik“, „Technik“ oder „Form“. Schritt für Schritt werden sie spezieller: „Planeten“, „schwarze Löcher“, „Migration“, „Afrika“, „Frauen im Islam“ … also verschiedenste Sachen und Themen. Diese Sammlungen werden für mich im Nachhinein zu einem Fingerzeig dafür, was mich eigentlich interessiert. Für mich funktioniert das Archiv oft so, dass es im Nachhinein zeigt, wonach man intuitiv greift. Dadurch bekommt man gesagt, was einen eigentlich interessiert. Dabei geht es um Inhalte, aber auch um Formen. Man entwickelt eine Art Formenblick, wenn einen etwas interessiert. Man schärft den Blick für gewisse Themen, die man überall entdeckt.

AM: Aber das größere Publikum denkt immer noch anders über Malerei. Viele haben doch die Vorstellung, dass ein Maler im Atelier steht und dann geht es einfach los, dann entstehen Bilder, und man weiß gar nicht, wie.

GS: Ja, sehr emotional, romantisch … Aber ich nehme es auch eher als Reflexion wahr. Malen ist kein unmittelbares, emotionales Geschehen, sondern durchläuft einen Filter von Reflexionen, Sammeln und Nachdenken. Man hat viel analysiert, gelesen, gehört. Die Sachen sind schon herausgesiebt, bearbeitet und nicht mehr so unmittelbar zu greifen. Schlussendlich kommt dann noch etwas Spontanes, Direktes ins Spiel. Aber vorher ist bereits viel gefiltert worden, und alles ist schon derart bearbeitet.

AM: Dieses Nachdenken und Vorbereiten von Bildern ist etwas, das in Bildern stattfindet. Es gibt bestimmte Dinge, die mich interessieren, die schweben in meinem Kopf herum, und dann tauchen Formen auf. Diese inneren Bilder sind gar nicht so detailliert und ausformuliert. Sie schweben eher in einem dunklen Raum. Früher habe ich mir für diese inneren Bilder Darsteller gesucht – Menschen, Gegenstände, Kostüme, Szenerien – und habe sie zusammengesetzt und dann abgebildet, was diese mir zeigten. Sie waren die Darsteller meines inneren Bildes. Jetzt möchte ich eher versuchen, meine Bilder dieser vagen Vorstellung mehr anzunähern und nicht zu stark an einer Vorlage zu kleben, denn damit entfernt sich das fertige vom inneren Bild. Aber ich finde es wahnsinnig schwierig.

GS: Das Diffuse und Nichtabschätzbare, das sind schon auch wichtige Punkte. Denn für mich ist das Geheimnis ein großer Teil der Arbeit. Ich habe eine ganze Sammlung von Informationen und Einflüssen in mir. Vielleicht nehme ich ein Detail von einem anderen Maler, nutze eine Handhabung der Farbe von Tiepolo oder Cezanne, ein Pinselstrich-Detail zum Beispiel, richtig als eine Form, die Informationen trägt. Aber was dann passiert, im Moment des Malens, ist zum Großteil auch ein Geheimnis. Es ist wie beim Reden. Du hast, wenn du den Mund öffnest, schon ein Konzept von dem, was du sagen willst. Aber du weißt nicht, was durch die Kommunikation entsteht – das Bild kommuniziert mit dir, die Farbe reagiert. In dem Moment geht es um den einen Moment. Es ist kein fertiges Produkt. Es ist lebendig. Das heißt, es gibt viele Elemente, die man einfach nicht berechnen kann. Und genau darum geht es ja auch. Ich will das Spielerische dieses Geheimnisses haben. Für mich ist das ein großer Spaß. Ich fühle mich diesem „Liebevollen“ nicht so nah, sondern eher diesem spaßvollen Spiel. Die Interaktion mit einem Menschen ist Spaß. Warum ist man mit jemandem? Es geht doch um „un momento ludico“, wie man auf Italienisch sagt, um etwas Offenes, Freies, um einen spielerischen Freiraum auf der Leinwand.

KP: Na ja, manchmal kann Malen auch recht unangenehm sein …

GS: Auch, auch das. Dann kommt das Schwierige. Es ist auch eine große Herausforderung, denn es kann auch nicht klappen, und dann musst du damit klarkommen.

KP: Schlussendlich kommt es auch darauf an, wie man arbeitet. Wenn man mit Imprimitur arbeitet oder sehr lasierend, dann muss man in gewissem Grad planen, dann kann man ja nicht einfach mal dick drüber und dann noch mal. Es gibt also auch schlicht einen praktischen Aspekt, wenn das herauskommen soll, was man haben möchte.

AM: Aber Malerei ist eben nicht nur ein analytischer Akt – für mich jedenfalls –, sondern geht durch den ganzen Körper. Mit ihm formt man wieder einen Körper. Der ist zwar flach, aber trotzdem vorhanden. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass jemand, der Malerei nachvollzieht, damit etwas nachvollzieht, das durch den Körper eines anderen hindurchgegangen ist, durch dessen Kopf, Hände, den Körper. Das hat schon etwas mit Liebe zu tun. Das hat auch tatsächlich auch etwas mit Erotik zu tun, finde ich. Es ist ein erotischer Austausch mit der Welt. Vielleicht bin ich die Liebende, die die Malerei liebt, aber vielleicht ist es auch umgekehrt: Aus irgendeinem Grund liebt die Malerei mich und will mich irgendwie haben. Das ist dann so eine Pflicht, und man will sie gar nicht immer tun. Ich versuche relativ häufig, wegzurennen. Mehrere Monate lang kann ich gar nichts machen. Ich finde das eher schwer, nicht so leicht. Also, es ist schon auch etwas Gewalttätiges in dem Ganzen.

KP: Gewalttätig? Ich bin vor allem froh, dass man sie hat, diese Möglichkeit. Ich finde, Malerei ist schon ein Geschenk.

DB: Ist sie denn ein dauerhaftes Geschenk? Es gab ja in den 1970er-, 80er-Jahren all diese Unkenrufe über das Ende der Malerei. Damals hätte der Titel dieser Ausstellungsreihe vermutlich anders gelautet, nämlich: Painting forever? Mich wundert, dass da heute ein Ausrufezeichen folgt. Das kommt mir vor, als ob jemand auf den Boden stampft. Als ob man diese Affirmation noch bräuchte und nicht einfach nur sagen kann: „Painting Forever.“ Punkt. Ist das Medium nicht vital genug? Braucht es diese Affirmation?

GS: Meines Erachtens nicht. Malerei ist einfach eine Ausdrucksform, ein Medium, das seine eigene Grammatik hat. Es kommen ja immer mehr Ausdrucksmedien hinzu, die zur Kunst, zum Kunstmachen gehören. Aber für mich ist Malerei zweifelsfrei das primäre Medium, und das wird es bleiben, was nicht heißt, dass ich nicht auch in anderen Medien arbeite, mit Fotografie zum Beispiel. Ein mögliches Ende der Malerei ist eine konstruierte Sache. Ich beschäftige mich nicht mit so was wie: Doch! Noch zehn Jahre! Was haben wir noch im Gepäck? Für mich ist es eher wie: Einverstanden. Punkt. Malerei ist etwas, das zum Menschsein gehört. Es gab immer Malerei. Es gibt keinen Moment der Kunstgeschichte, wo nicht gemalt wurde. Es kamen noch Medien durch neue Techniken hinzu: Fotografie, dann Film, Video usw. Oder neue Materialien. Man malt auf verschiedenen Trägern. Natürlich gibt es da eine Entwicklung. Aber Malerei ist etwas, das nicht zu einem Ende kommen kann. Es gehört uns einfach. Diese Debatte über das Ende der Malerei und dann: Oh, doch! Sie lebt noch! Das ist nicht die Debatte der Kunst und der Künstler.

AM: Diese Debatte ist doch Teil des völlig überholten Avantgarde-Diskurses, der immer noch nachhallt. Mich interessiert nicht die historische, sondern die anthropologische Grundlage der Malerei. Malerei ist tatsächlich etwas, das offensichtlich zum Menschen dazugehört, was Menschen in allen Kulturen machen, was Kinder sehr intuitiv sehr früh machen. Ähnlich wie Sprechen gehört Malen, also in irgendeiner Form Farbe in die Hand nehmen und damit ein Bild schaffen, zum Menschen dazu. Malerei ist nicht nur ein diskursives Medium, bei dem es um eine Positionierung innerhalb der Kunstgeschichte oder im Markt geht, sondern ein notwendiges Ausdrucksmittel. In der Welt zu leben, seinen Ort in der Welt zu finden, hat ja auch damit zu tun, dass man sich durch Materie, durch Farbe mit der Welt verbindet, dass man eine Verbindung herstellt in der Verbildlichung der Welt. Wenn man sich nur in der Spiegelung bewegt, die durch die Technik geschaffen wird, dann glaube ich, dass man etwas sehr Wichtiges verliert.

GS: Zudem ist der Malereidiskurs ja ein Diskurs, der auf Linearität basiert. Er gehört zur modernen Zeit, die aber schon lange vorbei ist. Der Aspekt, ob Malerei etwas Neues bringen kann, scheint mir nicht aktuell. Ohnehin leben wir heute in einer Zwischenzeit, wo noch nicht definiert ist, ob überhaupt etwas Neues kommen kann. Erst dieses und dann jenes … so etwas Definitives ist nicht mehr nötig. Es sind einfach tausend Fragmente. Alles ist etwas freier, nicht immer als Begriff festzumachen, und es ist auch nicht mehr linear. Jetzt ist alles andauernd aus der Geschichte geklaut, neu erstellt, neu zusammengestellt. Die Geschichte gibt es wahrscheinlich auch nicht mehr in dem Sinne, wie sie bisher verstanden wurde, sondern eher als riesigen Cluster.

AM: Es gibt ja auch eine zunehmende Ausdifferenzierung des Kunstbetriebs. Immer mehr Arbeitsformen entstehen im Kulturbetrieb. Es gibt Kuratoren, Kritiker, Schreiber, Vermittler, Berater … und sie alle leben davon, Unterschiede zu machen. Ein ausdifferenziertes System neigt nicht dazu, sich wieder auf die Einfachheit zurückzubesinnen. Ein Beispiel sind die Galerien. Ab dem Moment, wo sich Privatgalerien etablierten, musste man die Künstler gegeneinander ausspielen. Der eine musste dem anderen immer noch ein Stückchen voraushaben usw. Das interessiert mich überhaupt nicht. Das ist mir schnurzegal. Mich interessiert: Kann man Kunst machen, die tatsächlich wichtig ist, die eine wichtige Funktion hat für einen selbst und die Menschen, die sie sehen? Das Wichtige ist doch, dass man versucht, sich den Raum der Kunst wieder frei zu machen, dass man sich in diesem Raum gemeinsam aufhalten kann und dass dieser Raum wieder etwas Notwendiges bekommt, etwas Lebensnotwendiges. Aby Warburg beschreibt diesen Raum als Distanzraum oder Denkraum. Er ist notwendig, damit wir uns überhaupt in der Welt verorten und in der Welt miteinander umgehen können. Es geht um Aktivitäten, die einen in Bezug setzen zur Welt, die eine Relation aufmachen zwischen mir, dem Objekt, das ich herstelle, und dem Betrachter. Die Malerin oder der Maler hat eine solche Aktivität vollzogen, wie auch ein Ritual so etwas sein kann, ein Tanz oder eine Körperbemalung. Kinder tun das. Dafür interessiere ich mich sehr. Distanzraum ist nicht im Sinne von „kühler Distanz“ gemeint, sondern ist bei Warburg ein Raum, der uns ermöglicht, durch eine Formfindung mit Ängsten umzugehen. Diese Formfindung könnte ganz abstrakt sein, sie kann sich aber auch mit dem Tagesgeschehen beschäftigen. Aus diesem Grund erscheinen mir die Unterschiede zwischen verschiedenen Formen von Malerei auch gar nicht als so grundsätzlich.

DB: Ihr stimmt alle darin überein, dass es nicht interessant ist, das malerische Feld immer weiter zu differenzieren und gegeneinander auszuspielen. Aber inwiefern ist denn Malerei überhaupt ein eigenes Feld, also eine von anderen Ausdrucksmedien abgeschlossene Sache? Vor allem ihr zwei, Katrin und Antje, arbeitet ja häufig jenseits der Malerei.

AM: Da muss man unterscheiden zwischen Malerei als Geschichte der Malerei und Malerei als Tätigkeit. Malerei als Aktivität ist etwas, das man nur als Malerei machen kann. Das muss man erst mal begreifen. Das ist nun mal nicht dasselbe, wie ein Video zu machen. Deswegen rede ich so viel über den Körper. Meinetwegen kann man auch einen Ton-Klops nehmen … Man setzt sich in Relation mit der Welt. Ich mache auch Videos oder Performances, aber Malerei ist etwas anderes. Sie hilft mir … Im Englischen würde man sagen „to touch ground“. Das ist der Boden. Das ist wie Essen.

KP: Natürlich kann man auch mit einem erweiterten Malereibegriff hantieren, aber das Besondere an der Malerei ist doch gerade die Verbundenheit mit der Materie. Das sehe ich heutzutage als großen Luxus an. Vom Arbeitsprozess, von der Idee zum Fertigungsprozess, ich stehe da drauf, dass man alles selbst macht, von Anfang an. Ich würde mir meine Bilder auch nicht malen lassen wollen. Zwar würde ich den Malereibegriff nicht nur auf Pinsel und Farbe festlegen, aber das steht im Zentrum, das ist es hauptsächlich, nicht ausschließlich. Mit diesen Mitteln geht es primär um ein Nachdenken über Inhalt und Form. Das Viereck der Leinwand ist dazu da, dass man es als Ausgangspunkt für seine Gedanken nimmt. Man schafft sich zunächst ein Gegenüber. Man braucht ein visuelles Moment, das einem gegenüber steht und in das man hineingehen kann. Die Objekte, beispielsweise meine im Raum hängenden Meteoriten, die auch beweglich sind, erweitern diese Beschäftigung mit Distanz. Da geht es um Entfernungen und den Wechsel von Standpunkten.

GS: Malerei ist für mich Farbe, oder Farbe und Nicht-Farbe, das Volle neben dem Leeren. Pinsel, Tube, Finger, Tuch … das sind die Elemente. Farbe ist für mich wie Buchstaben. Die Buchstaben sind immer dieselben, aber durch die Kombination kommen neue Gedanken, neue Konzepte, neue Sätze raus. Das stimmt schon, das ist meine Sprache. In meinem italienischen Ausweis steht auch in der Tat „pittrice“ – Malerin!

DB: Das ist ein gutes Stichwort. Denn es gibt ja zwei Grundvoraussetzung, die euch für die Ausstellung hier prädestinieren. Das eine ist euer Medium, über das wir viel gesprochen haben, und das andere ist euer Geschlecht. Letzteres ist eine Resonanz auf die Dominanz von Männern in der Malerei, genauer in Malereiausstellungen. Es ist eine mir zwar nachvollziehbare Reaktion, aber eben eine Reaktion. Ist die denn auch inhaltlich sinnvoll?

KP: Na ja, so lange eine Quote noch einen Sinn macht, schon.

AM: Ja, genau. Das ist ganz simpel. Ich bin für die Quote. Ganz klar.

DB: Aber die Quote ist ja auch lediglich ein Reagieren auf einen Missstand.

GS: Die Möglichkeiten sind in der Tat begrenzt. Das spüre ich stark. Es gibt derart viele sehr interessante Malerinnen, Künstlerinnen, bei denen man Glück hat, wenn man an die Arbeiten rankommt. Ich gehe gerne in Ateliers, denn ich möchte den Menschen sehen und kennenlernen. Das ist auch wichtig, um die Arbeit zu verstehen. Ich bin manchmal extrem überrascht und berührt von dem, was ich dort sehe. Aber warum ist das nicht draußen? Und da draußen muss ich mir ganz viel anschauen, was nicht unbedingt Vorrang hat oder ausschlaggebender ist. Na, aber man weiß auch, wie es läuft. Es passiert in einem geschlossenen Kreis, und der ist einfach noch sehr kumpelhaft, das ist ein gesellschaftliches Ding. Es gibt sehr gute Kunst von Männern, genauso wie von Frauen, aber davon vergleichsweise wenig zu sehen. Noch.

AM: Ich finde, man kann ruhig mal wieder durchzählen, wie viele Frauen, wie viele Männer in den Ausstellungen sind. Es gibt Ausstellungen, da sind neunzig Prozent Männer dabei. Das nimmt niemand mehr wahr, weil man denkt, das Thema sei durch. Aber das ist nach wie vor die Realität. Das macht es für uns sehr viel schwerer. In der Malerei ganz besonders, und besonders in Deutschland. Das betrifft die Gegenwart, aber natürlich auch die Vergangenheit. Es gibt derart viele gute Malerinnen, die in der Kunstgeschichte nicht präsent sind. Und so lange die Kunstgeschichte nicht so umgeschrieben ist, dass sie alle ihren Platz gefunden haben und es ganz normal ist, dass sie mitauftauchen, so lange brauchen wir solche Dinge wie die Quote. Das kommt schlicht nicht von selbst.

KP: Dieser Aspekt der Kunstgeschichtsschreibung ist wichtig. Da gilt es, aktiv zu sein, in der Kunstgeschichte selbst Referenzen zu suchen und sich die Künstlerinnen bewusst zu machen. Das muss sich alles mehr durchsetzen, und damit es normal wird, müssen wir das selbst und untereinander betreiben. Dabei geht es ja nicht nur um ein Hinzufügen von Namen, sondern auch um einen anderen Blick. Es gibt einen Text von Griselda Pollock über Frauen im Impressionismus – Berthe Morisot, Mary Cassatt … – und über ihre andere Art zu malen und Dinge darzustellen.1 Bei ihnen gibt es oft Barrieren im Bild, ein Zaun, eine Mauer. Ihr Blick auf die Welt war ein anderer, gehinderter. Die Impressionisten haben ja gerne Barfrauen gemalt und hingen in Bordellen rum, die Frauen haben eher Kinderszenen oder Gartenszenen gemalt, auch weil sie die anderen Orte gar nicht betreten konnten. Oder ein anderes Beispiel: Lady Butler hat zwar Schlachtenszenen gemalt, aber auch an dieses Sujet geht sie anders ran als ihre männlichen Kollegen, hier wird das Leiden am Krieg deutlicher, ihre Bilder sind weniger verherrlichend. In diesen Bildern zeigen sich also auch andere Arten, die Welt zu interpretieren.

DB: Ihr würdet also einen deutlichen Aufruf an Künstlerinnen aussprechen: Agiert mal dagegen! Gegen diese Tendenz?

AM: Nein. Agiert dafür! Katrin und ich sind ja in einem Frauennetzwerk, den ƒƒ. Das habe ich mitgegründet, weil wir festgestellt haben: Es macht Spaß, wenn wir mal was unter uns machen, kollaborieren, uns gegenseitig stärken und auch schauen, ob wir zusammen eine Sprache entwickeln können. Ich bin keine Essentialistin, ich denke nicht, dass Frauen so speziell anders sind als Männer. Aber sicher gehen wir freier miteinander um. Das verschiebt sich, wenn Männer dabei sind. Es geht erst mal, wie Giovanna sagte, um Spaß. Der politische Aspekt ist der zweite, er ist nicht der vorrangige. Wir sind nicht gegen irgendwas, sondern versuchen, einen eigenen Raum zu bilden. Diesen Freiraum nennen wir Temporäre Autonome Zone. Wir sind nicht gegen Männer, wir beschäftigen uns bloß nur nicht so viel mit ihnen, weil wir viel damit zu tun haben, uns mit den Künstlerinnen zu beschäftigen.

DB: Ich musste lachen, als ich Katrins Hard Edge Novel las. Da stehen so schöne Sätze wie: „For a woman you are a pretty good painter.“ Oder „So ’ne kleine Frau und so große Bilder“ … Wo kommen die denn her?

KP: Na, man hört so Sachen. Die sind an befreundete Künstlerinnen oder an mich gerichtet worden. Da kann man ja nur drüber lachen, oder? Es ist ja schon sehr lustig.

DB: Absolut.

KP: Es gibt ja Leitern.

  1. Griselda Pollock, Modernity and the Spaces of Femininity. In: dies., Vision and Difference: Femininity, Feminism and the Histories of Art, London, 1988, S. 245-68.