In der Ausstellung ‚Der Meteorit’ im Heidelberger Kunstverein wird alles zusammengeführt, was mit meinen Untersuchungen und Forschungsreisen zum ‚Meteoriten’ zusammenhängt. Was hat es mit diesem Brocken magnetischen Gesteins auf sich, den ich bei mir im Atelier aufbewahre?

Ich hatte ihn 2005 als Meteoriten auf einem Flohmarkt in Beijing gekauft und nach Deutschland gebracht, wo ich ihn auf einen unstabilen hölzernen Sockel setzte, der ursprünglich ein afrikanisches Kinderspielzeug war. Damit wurde er zu einem Gong Shi – einem Gelehrtenstein, wie ihn seit über tausend Jahren die Gelehrten in China zur Kontemplation verwenden und sammeln.[1] Ich hatte auf demselben Flohmarkt weitere kleine Gong Shi gekauft. Ich versuchte sie zu malen, aber ich war mit den Bildern nicht ganz zufrieden.

Wenn ich ihre Oberfläche malte, was stellte ich dann dar? Das, was sie so interessant machte, war nach chinesischer Auffassung ihre Fähigkeit, Qi zu enthalten oder zirkulieren zu lassen – Lebensenergie, Atem. Wie konnte ich sozusagen das Innere dieser Steine darstellen? Damit befasste ich mich, ohne es zu wissen, mit einer zentralen Frage chinesischer Ästhetik, die aber darüber hinaus unser Verhältnis zu den Dingen überhaupt betrifft.

Als ich ab 2009 begann, die Ausstellung „Die Gimel-Welt“ [2] im Kunsthaus Graz vorzubereiten, beschäftigte ich mich mit insgesamt sieben Gegenständen, die ich auf Reisen gesammelt hatte. Einer davon war der Meteorit. Um diesen Meteoriten besser verstehen zu können, entschied ich mich, 2011 nach China zurück zu fahren. Ich hatte in zwar in Beijing gekauft, aber er konnte von überall her stammen, und so entschied ich mich für Südchina, wo es grosse Meteoritenvorkommen gibt. In Guangzhou traf ich die Meteoritenforscherin Lu Ling, die als ‚Volkswissenschaftlerin’ über Meteoriten forscht und auch für eine NGO arbeitet, die zwischen den Dörfern und der Regierung vermittelt. Sie erklärte mir ihre Theorie, wonach der Einschlag der Meteoriten in der Urzeit der Erde grosse Wolken hervor rief, und dass die jeweilige Form dieser Wolken alle Formen auf der Erde generierte. Dann schlug sie vor, mich auf einen Tagesausflug zu einem Dorf mitzunehmen, das einen sehr großen Meteoriten besitzt, den ‘Eisernen Ochsen’. Mit meiner Assistentin und Freundin Xu Shuxian, die alle Gespräche übersetzte, reisten wir aus dem grauen Guangzhou in die wunderschöne Landschaft nahe des Long Tan-Bergs. Im Dorf von Yang Wu Sha[3] wurden wir vom Bürgermeister begrüsst, und nachdem viele Fotos gemacht worden waren, zu einem üppigen Essen eingeladen. Ich erklärte, dass ich mehr über ihren Meteoriten herausfinden wollte. Die Dorfbewohner erzählten mir die Geschichte des ‚Eisernen Ochsen’ in mehreren Varianten.

Er wurde gefunden, als man nach Feng Shui-Prinzipien einen Fischteich grub. Der grosse Brocken wurde herausgeholt, lief aber jeden Abend wieder in den Teich und fraß dort die Fische. Deshalb musste ein Feng Shui Meister geholt werden, der ihm eine Kerbe in den Rücken hieb, so dass er an seinem Platz vor dem Ahnentempel blieb. Nun gilt er als der Beschützer des Dorfes, der allen Glück bringt. Die Kinder benutzen ihn zum Spielen und reiten auf ihm.

Wir mussten in die Berge laufen, um mit dem alten ehemaligen Bürgermeister zu sprechen, um eine sehr interssante Variante zu hören. Hier musste der „Eiserne Ochse“ – der auch „das Biest“ genannt wird – vom Feng Shui Meister kastriert werden, damit er endlich ruhig blieb. Der kleine abgeschnittene Penis sei aber verschwunden, vielleicht an einen Alteisenhändler verkauft. Diese Erzählung macht aus dem Meteoriten einen gezähmten Fruchtbarkeitsgott, wie man ihn in einer ländlichen Gegend brauchen kann. Auf dem Rückweg kamen wir an einem kleinen Tempel für den Gott der Erde vorbei, direkt bei den Feldern.

Aber auch zu diesem entlegenen Dorf ist die Moderne vorgedrungen und bringt Unglück mit sich. Die älteste Schicht der Erzählung über den Meteoriten bringt Nüwa ins Spiel, die Ein alter Mann meinte, seit den Zeiten, als die Himmelsgöttin Nüwa den Himmel mit Steinen flickte, fielen sie herunter und brächten Katastrophen mit sich: in diesem Fall in Form von Minen seltener Erden, die nicht weit von Dorf liegen und das Wasser vergiften.

Mein Interesse am ‚Eisernen Ochsen’ wurde von den Dorfbewohnern als Argument gegenüber der Regierung genutzt, nicht umgesiedelt zu werden, sondern lieber das Wasser zu klären und die Gegend für Touristen wie mich zu öffnen. Ich schrieb einen schönen Brief, und ein Foto mit mir wurde am Ahnentempel aufgehängt. Der Bürgermeister wurde bald darauf zum Kreisvertreter gewählt. Im Moment bereite ich eine weitere Reise nach Guangzhou vor, die mich während der Ausstellungszeit wieder in das Dorf führen wird. Ich werde weitere Fotos und Informationen, so dass sich die Ausstellung während ihrer Laufzeit verändern wird. Ich möchte sehen, was aus dem Dorf geworden ist. Wie ich von meiner Assistentin Shuxian Xu gehört habe, sind sie bis jetzt noch nicht umgesiedelt worden, und das Dorf mit dem ‚Eisernen Ochsen’ erscheint in einem Tourismusführer.

Etwas später traf ich in Guangzhou Ma Xiaozhong, dem Onkel meiner Assistentin Shuxian Xu, der ein Feng Shui-Meister war. Ma Xiaozhong arbeitete für eine Firma, die traditionelle chinesische Medizin herstellte, und erteilte Rat. Er konnte auch das I Ging interpretieren. Noch bevor wir das Gespräch begannen, schenkte er mir ein Armband, das er selbst getragen hatte – eine ähnliche Kette trug er um den Hals. Die Früchte haben eine Hülle, die aussieht, als sei sie eher eine Tierhaut als Bestandteil einer Pflanze.

Ich hatte ihm meinerseits einen der Meteoriten mitgebracht, die mir die Leute im Dorf geschenkt hatten. Er freute sich sehr darüber, weil er in ihm einen liegenden Buddha sah. Der liegende Buddha zeigt den Moment, in dem Buddha ins Nirvana eingeht – auf der Seite liegend und lächelnd.[4]

Ma Xiaozhong erklärte sich bereit, mit mir über den Meteoriten zu sprechen, wollte aber nicht gefilmt werden. Ich machte ein paar Fotos und Notizen des Gesprächs, die Transkription findet sich weiter unten. Auch bei ihm wird der Meteorit zu einem lebendigen, aktiven Wesen, das bei der Meditation helfen kann. Er zeigte mir, wie man ihn am besten vor dem Dantian[5], dem Körper/Wesenszentrum, zu halten hatte.

Von meinen Objekten gefiel ihm die schwarze Kugel am besten. Sie erinnerte ihn an eine Tier-Perle und könne zum Heilen von Menschen benutzt werden.

Ma Xiaozhong selbst starb wenige Monate nach unserem Treffen friedlich an einem Herzleiden. Ich bin sehr dankbar, dass ich ihn noch kennenlernen durfte.

 

[1] Siehe z.B: Kemin Hu, Scholars’ Rocks in Ancient China: The Suyuan Stone Collection: The Suyuan Stone Catalogue, Orchid Press 2013
[2] “Gimel” ist der dritte hebräische Buchstabe. Der Titel bezog sich auf die Kurzgeschichte „Das Aleph“ Jorge Luis Borges. Wenn das Aleph eine Kugel ist, die alle Dinge dieser Welt enthält, in einer surrealen, unverbundenen Gleichzeitigkeit, dann ist die Gimel-Welt die Welt der Verbindungen, der Relationen, in der kein Ding unabhängig von einem anderen, kein Mensch unabhängig von der Welt existiert und es keinen fundamentalen Unterschied zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen gibt.
[3] Yang Wu Sha 杨屋厦
[5]丹田 Hier: das untere Xia dantian , etwas unterhalb des Bauchnabels. Dantian bezeichnet im Daoismus die Energiezentren des Menschen. Das untere Xia Dantian ist der Sitz des Qi des Menschen, das wichtigste Zentrum der Energie im Körper, das im Fluss sein muss. Der Meteorit kann dazu benutzt werden, das Energiefeld zu pflegen.