0: DIE VITRINE

Neuigkeiten aus der Gimel-Welt

Das Aleph wird von einem Schriftsteller im Keller aufbewahrt. Es enthält alle Dinge dieser Welt gleichzeitig.

„Am unteren Teil der Stufe, rechter Hand, sah ich einen kleinen regenbogenfarbenen Kreis von fast unerträglicher Leuchtkraft. Anfangs glaubte ich, er drehe sich um sich selber; später begriff ich, dass diese Bewegung eine Illusion war, hervorgerufen durch die schwindelerregenden Schauspiele, die er barg. Im Durchmesser mochte das Aleph zwei oder drei Zentimeter groß sein, aber der kosmische Raum war darin, ohne Minderung seines Umfangs.“ In seiner Erzählung Das Aleph lässt Jorge Luis Borges eine schwindelerregende Aufzählung ferner, naher, vergangener, gegenwärtiger Dinge folgen; unverbunden purzeln sie nacheinander. „Was meine Augen sahen, war simultan: was ich beschreiben werde, ist sukzessiv, weil die Sprache es ist.“

Jorge Luis Borges, Das Aleph

Die Beta-Welt enthält nicht nur die Dinge dieses Planeten, sondern auch alle weiteren möglichen Planeten und Universen: das Multiversum. Sie enthält alle Vergangenheiten, alle Zukünfte und auch die Welten, in denen es keine Zeit gibt oder mehrere, ebenso wie eindimensionale bis x-dimensionale Räume. Sie ist zwangsläufig nicht beschreibbar oder darstellbar.

Die Gimel-Welt fragt nach den Relationen all dessen untereinander und zu uns.

Vor zwei Jahren baten mich Peter Pakesch und Adam Budak, mir Gedanken über das Universalmuseum Joanneum zu machen, das in diesem Jahr zweihundert Jahre alt wird. Es besteht aus einem Komplex von Einzelmuseen, zu denen auch das Kunsthaus Graz gehört. Ursprünglich war das Universalmuseum ein Projekt der Aufklärung, gegründet vom liberalen Erzherzog Johann für die steirische Bevölkerung . Das Universale dieses Wissens hat sich als historisch und regional begrenzt herausgestellt. Die Systematiken der naturwissenschaftlichen Abteilungen wurden neu bestimmt, und ihr Gebrauch ist nun  ein anderer. Die Mineralogie sollte beispielsweise ursprünglich den steirischen Bergbau unterstützen (Erzherzog Johann gründete auch eine Montanunion). Volkskundliche Sammlungen sollte die Stärkung des Nationalgefühls bewirken – im 19. Jahrhundert war das mit Freiheitsbewegungen und Liberalismus verbunden, während man sich heute schwertut mit der Erfindung eines Nationalcharakters durch die Trachtensammlung. Die Abteilungen sollten einen praktischen Nutzen für die Bevölkerung haben, der heute kaum noch relevant ist. Darüber hinaus bieten die ausdifferenzierten, musealisierten Wissenssysteme von heute im Unterschied zu den Analogie-Transformationen[1] des Schlosses Eggenberg kein symbolisches Wissen über die Welt, das sich in Handlungen im Alltag und den Bezug der Menschen untereinander und zu ihrer Umwelt übersetzen ließe.

In meinem Universalmuseum, dem Gemälde einer Vitrine mit Wächter[2] , werden sieben Objekte präsentiert. Ich hatte sie auf Reisen gekauft; warum gerade diese sieben meine Universalien werden sollten und was sie bedeuteten, wusste ich nicht, als ich vor drei Jahren begann, über sie nachzudenken. Es sind Dinge, die nur einen geringen Wert besitzen: Wie die Gutachten der einzelnen Abteilungen aus Graz belegen, wäre keines von ihnen für eine museale Sammlung interessant.

Wissenschaftliche Gutachten über die Objekte, erstellt vom Joanneum Graz

Kurz darauf erhielt ich eine weitere Einladung vom basso in Berlin. Dort wurde zeitgleich zur Eröffnung des Prestigebaus des „Neuen Museums“ in Berlin ein sehr schönes kleines Museum eröffnet, mit allem, was ein Museum braucht: Aufsicht, Führer, Online-Infos, Ausstellungsbereich, Forschung, Konservierung. Aber in diesem Museum wurde auch getanzt, Musik und Performances gemacht, gegessen, geredet und gelebt. Alle Aktivitäten fanden dort gemeinschaftlich statt und entwickelten sich oft aus dem Augenblick.  Ich malte den Guardian of all Things that are the Case für beide Ausstellungen. Als Keimzelle enthielt es schon in der Ausstellung im basso alles, was sich nun in die große Ausstellung im Kunsthaus Graz entfaltet.

Auf sieben weiteren Gemälden werden die Objekte, die sich in der Vitrine befinden, einzeln von Menschen vorgestellt oder gehalten. Sie sind dort namenlose Attribute, wie auf den Bildern obskurer katholischer Heiliger, und ähneln den Dingen von Borges. All diese Gemälde fanden ihren Platz in jeweils einer Ausstellung, in der sie mit anderen Kunstwerken, Künstlern, Kontexten in Verbindung traten.

Dann reiste ich zu den Orten, von denen die Dinge kamen: in den Senegal, nach China, nach Polen und Frankreich. Überall traf ich auf Menschen, die mir weiterhalfen. Einige alte Künstler wurden zu meinen Lehrmeistern. Ich erfuhr, dass man die Dinge nicht ihrer Geschichte berauben darf, denn sie ist immer auch die Geschichte der Menschen, die sie zuvor in der Hand hatten. Jedes meiner Dinge, das für mich faszinierend, aber „sinnlos“ gewesen war, brachte mich an einen Ort, an dem es lebendig war und sich in einer ständigen Transformation befand. Zahlreiche Geschichten entstanden um diese wenigen Gegenstände herum, sie brachten mich in die ganze Welt, und von selbst knüpfte sich ein Netz von Freunden, Wissenden, Fragenden, Liebenden.

Nun kommen die Dinge in den toten Ort des Museums, das Grazer Joanneum, in dem der Prozess ihrer Mumifizierung beginnt. Die Besucher werden hoffentlich das Netz weiter knoten. Ich erzähle weder eine simultane Sicht noch eine sukzessive: Es ist eher ein ständig wachsendes Netz, dessen Knoten ganz einfache Wahrheiten enthalten. Das Einfachste ist am schwierigsten zu sagen, aber vielleicht kann man ihm begegnen.

I DIE MILCHORANGE (HEDGE APPLE/OSAGE-ORANGE)

Der erste Gegenstand meiner Sammlung tauchte auf, als ich im Sommer 2008 für die Ausstellung Dubai-Düsseldorf [3] ein Science-Fiction-Szenario entwarf, in dem ich mit einer Biotechnologiefirma zusammen ein lebendes Kunstwerk entwickle: die Entität. Es handelt sich um einen lebenden Organismus, der keine Sinnesorgane besitzt und sich nicht fortpflanzen kann, sondern sich langsam von innen selbst verzehrt, bis er mumifiziert ist: eine Monade. Im Pavillon der Entität soll er nur der Kontemplation und Reflektion dienen: Was ist dieses nur seiende, lebendige, sterbende Ding, das in keiner Relation, keinem Austausch mit der Welt steht, keinen Metabolismus hat? Und was sind wir?

Marcus Steinweg, Was ist ein Objekt?

Für diesen Organismus suchte ich nach einem Vorbild im Internet. Meiner Vorstellung nach konnte es eine runde Frucht sein, die aber eventuell haarig wäre oder stank. Meine Suche nach „hairy balls“ führte mich nicht zu Früchten, deswegen versuchte ich es mit „fruit + ball“ und landete bei der Milchorange, auf Englisch Hedge Apple oder auch Osage-Orange. Ich veränderte die Farben und malte das Ding in die Hände einer Mäzenin, die es dem Direktor des Pavillons der Entität[4] im Jahr 2024 übergibt.

Leider stellt sich heraus, dass die Menschen es nicht ertragen, diesem Ding keine Bedeutung zuzuschreiben. Statt des biomorphen Pavillons der Entität werden in Dubai und Düsseldorf  Kunsthallen gebaut, in denen es kultisch verehrt wird (2056). Ganze Pilgerzentren entstehen (Architekturentwürfe: Noffice, Miessen/Pflugfelder) . Die Architektur der Kunsthallen ist monumental und hat eine perfekte, modernistische Oberfläche. Für den Schrein, der die schrumpelnde Entität aufnimmt, scheint eine von John McCrackens glänzenden Stelen eingeknickt worden zu sein, sie ähnelt nun einem Prada-Display.

Ein paar Jahrzehnte später kommt es zu einer nicht näher beschriebenen Katastrophe, einer Revolution oder einem Krieg, und die Kunsthallen werden zerstört. Übrig bleiben ein dekoratives Element und ein Glaskubus mit der mumifizierten Entität, die sich im Jahr 2101 bei einem Gemüsehändler befinden, der an den Plünderungen teilgenommen hat.

Antje Majewski, Entität

 

In dieser Geschichte geht es um die Frage nach dem Toten und dem Lebendigen in der Kunst. Wie kann Leben konserviert und übermittelt werden, und was bedeutet der Mumifizierungsprozess? So sehr sich die Museen auch bemühen, Leben in ihnen stattfinden zu lassen: Sie bleiben vor allem Orte der toten Dinge. Diese Dinge, ob Bilder, Skulpturen, mittelalterliche Rüstungen oder Mineralien, werden mit großer Sorgfalt und hohen Kosten eingesargt und konservatorisch versorgt. Warum? Welche Rolle spielen diese Dinge für die Selbstvergewisserung der Besucher, ihre Verbindung mit den Toten?

II DIE MUSCHEL

Die große Muschel[5] habe ich vor sieben Jahren in Dakar im Senegal gekauft. Ich kann mich nicht genau erinnern, wo ich sie gefunden habe – meine aber, es sei nahe dem Place de l’Indépendance gewesen, kurz vor der Abreise.

In einem Gemeinschafts-Taxi von St. Louis nach Dakar hatten wir eine junge Frau kennengelernt, die uns einlud, ihre Familie zu besuchen. Ihr alter Vater war ein Marabout, ein islamischer Gelehrter, den man als Mittler zu Gott konsultierte. Er konnte stellvertretend beten, Rat geben und auch zu mehr Glück verhelfen. Nanette hatte ebenso wie ihr Bruder, ein Rap-Musiker, diese Gabe geerbt. Seine drei Familien lebten in einem großen Hof, an einer ruhigen, ungeteerten Straße, die mir sehr gut gefiel. Ich flog wieder nach Berlin, mit der Muschel im Koffer, und nahm die unbestimmte Idee mit, ich müsse zurückkehren nach Dakar, diese Straße wieder finden und dort mit Nanette einen Film drehen. Dieser Film sollte La Collectioneuse heißen. Ein Mädchen sollte in ihrem Zimmer in Dakar Dinge im Regal aufbauen, die ich im Hafengelände von Bremen finden und dann per Schiff nach Afrika reisen lassen wollte.

Stattdessen reiste ich im Frühjahr 2010 selbst  wieder in den Senegal, mit einer Tasche mit meinen Gegenständen. Ich hatte das dringliche Gefühl, jetzt müsse ich nach Dakar, hatte verschiedene Wege gesucht und war schließlich Clémentine Deliss begegnet, die ebenfalls nach Dakar wollte. Ich hatte meine alte Kamera und ein kleines Mikro eingepackt. Clémentine war sicher, es seien ihre langjährigen Freunde Issa Samb und El Hadji Sy, Mitglieder des Laboratoire Agit Art, die ich treffen und wegen meinen Objekten befragen sollte.

Clementine Deliss, Some thoughts on the transformational psyche of object

El Hadji Sy kam in mein Hotelzimmer, sah die auf dem Tisch ausgebreiteten Dinge und sagte mir: „Ce sont les choses mêmes qui t’ont ramené ici.“ („Es sind die Dinge selbst, die dich hergeführt haben.“) Am nächsten Tag gingen wir zu Issa Samb. Issa wohnt in einem Hof voller Dinge, die herumstehen oder an Schnüren hängen.  Freunde und Besucher setzen sich mit ihm unter den gewaltigen Baum, der in der Mitte steht.

Nachdem ich einige Tage lang bei den Gesprächen im Hof stumm dabeigesessen und alle Objekte

fotografiert hatte, gab ich schon die Hoffnung auf. Issa sprach nicht mit mir. Aber dann sagte mir

Abdou Bâ, ein Freund von ihm, der ihm hilft: „Komm am Freitagmorgen.“ Ich kam in den Hof,

baute meine Kamera auf, und Issa Samb setzte sich und führte mit mir ein Gespräch, das für mich

sehr wichtig geworden ist.

Issa sagte mir, dass man die Dinge nicht ihrer Geschichte berauben darf, denn das würde die Geschichte aller Hände negieren, durch die sie entstanden sind oder gegangen sind. Außerhalb ihres Gebrauchs tragen sie aber auch noch etwas in sich, das dem gleich ist, das wir in uns tragen, und das wir selbst im kleinsten zerbrechlichsten Ding aus China respektieren müssen: eine Kraft, die nicht nur die Menschen, Tiere und Pflanzen erfüllt, sondern auch die Dinge. Jede Aktion, jede Bewegung der Dinge und der Menschen verändert die Ordnung der Welt, und es liegt in unserer Verantwortung, den Dingen bei ihrer Bewegung zu helfen, um an der Selbst-Verwirklichung der Welt teilzunehmen.

Die Muschel. Gespräch zwischen Issa Samb und Antje Majewski, Dakar 2010

 

Schließlich legte ich die Muschel, den Meteoriten und die Buddha-Hand auf den Tisch. Aber nicht Issa erklärte mir meine Dinge: Ich musste es selbst tun. Abdou sagte: „Ich werde dir helfen“, übernahm die Kamera und filmte in der zweiten Hälfte vor allem mich. Issa führte mich immer tiefer in eine Innensicht des Meeres hinein, bis ich schließlich gegen meinen Willen zugeben musste, dass ich in Wahrheit nicht länger das Meer sah, sondern eine Frauenstimme klar und rein einen einzigen Ton singen hörte. Issa machte eine Bewegung, worauf ich in Trance fiel. Das alles kam für mich ganz unerwartet. Am nächsten Tag und auch noch in den nächsten Monaten war ich sehr erschöpft, wie ausgeleert. Während die Stimme in der Muschel süß und liebevoll war, ist das, was mir in der Trance übertragen wurde, sehr stark,  aber auch kalt, sogar eisig.

Der Stein, die Kugel, die Augen. Gespräch zwischen El Hadji Sy und Antje Majewski, Dakar

2010

 

Am übernächsten Tag führte ich ein weiteres gefilmtes Gespräch mit El Hadji Sy, in dem es um Spiegelungen, Scharniere und den Blick geht. In diesem Gespräch erwähne ich eine Tür von Marcel Duchamp, die zwischen zwei Türöffnungen montiert ist, und vergleiche das Scharnier mit meiner Fahrt nach Afrika, die ebenfalls ein Scharnier darstellt.  Bei solchen Türen ist nicht klar, welche die Vorder- und welche die Rückseite ist, so wie ich auch bei dem Gespräch mit Issa Samb nicht sagen kann, ob die zweite Hälfte des Gesprächs, in der durch mich gesprochen wurde, die Rückseite der ersten Hälfte ist, in der Issa sprach. Dieses Scharnier ist ein inhaltliches – was ist sage, ist eine andere Form des Sprechens, die aber dasselbe sagt wie der erste Teil; es ist aber auch eine Umdrehung des ethnografischen/kolonialistischen Blicks.

Die Stelle der Trance habe ich im Film geschwärzt, weil ich es nicht aushalte, sie zu sehen. Auch wenn ich dabei gefilmt wurde, habe ich die Macht über diese Bilder. Aber ich habe keine Macht über die Bedeutung dieses Geschehens, das in mein Leben einbrach und dort keinen Zusammenhang vorfand. Ich weiß, was mir übermittelt wurde: Aber ich habe keine Worte, keine Geschichte dazu. Ich kann nichts darüber sagen. Auch Issa hat mir nicht erklärt, wer die Stimme war, die ich in der Muschel hörte. Nachdem ich wieder erwacht war, stand er auf und fegte weiter den Hof.

 

Die Stimme in der Muschel hat keinen Namen – wenn ich selbst zu einer Ethnie gehören würde, die Götter hat, könnte ich ihr einen geben. Die Meeresgottheit der Lebou, der Fischer von Yoff und Dakar, heißt beispielsweise Mame N’Diaré. In ganz Westafrika verbreitet ist der Mami-Wata-Kult, sie kann auch viele andere Namen haben. Hier handelt es sich um eine Meeresgöttin, die Liebe und irdisches Glück geben kann, aber auch bestraft, wer ihr untreu wird. Oft wird sie als eine weiße Frau mit langen schwarzen Haaren und einer Schlange um den Hals dargestellt –manchmal hat sie einen Fischschwanz wie die Meerjungfrauen, die mit den Holzschiffen der Europäer segelten.[6] Auch die afroamerikanischen Religionen wie Cadomblé und Santería kennen eine solche Meeresgöttin, dort heißt sie Yemanja/Yemajá und geht auf den Yoruba-Orixa Yemoja zurück. Man lässt Geschenke für sie ins Wasser  treiben: Blumen, Parfüm, Spiegel…

 

Das Foto von Leonore Mau aus dem Buch Petersilie[7] mit Fotos von Mau und Texten von Hubert Fichte zeigt ein Boot, das über und über mit Muscheln beladen ist, wie eine Fracht der Yemanja. „Ein Andenkenhändler aus Boca Chica hat für die Touristen ein Zauberschiff konstruiert .“ Sie fotografierte es auf einer der Reisen, die sie und Fichte unternommen hatten, um die afroamerikanischen Religionen zu erforschen. Fichte und Mau waren keine Ethnografen, sondern Künstler; trotzdem hielten sie sich anders als Pierre Vergé[8] an die Ethnografen-Regel, über einen bestimmten Punkt hinaus nicht teilzunehmen, sich nicht wirklich initiieren zu lassen, nicht in Trance zu fallen, haben aber sehr viele Besessenheitszeremonien miterlebt.[9]

 

Die weißen Eier auf der Fotografie von Leonore Mau hat sie in ihrer Hamburger Wohnung aufgenommen, lange nachdem Hubert Fichte gestorben war. Es gibt eine Passage im Forschungsbericht[10], dem Buch, in dem Hubert Fichte ein Scheitern beschreibt. Sie waren nach  Belize gefahren und hatten auch dort versucht, Geschichten zu finden, Rezepte für Geheimgetränke. Aber sie bekamen keinen Zutritt zu den Riten, wurden in die Irre geführt. Fichte fand noch nicht mal eine Möglichkeit für schwule Begegnungen. Sie kamen einfach nicht weiter. Da schlug Fichte Mau vor, sie könne doch „zur Übung“ weiße Eier vor einer weißen Wand fotografieren. Mau war beleidigt und meinte, sie übe nicht. Kein Interesse an bloß formalen Spielereien, Beweisen für Handwerk und Können.

Und dann, in den 80er-Jahren, hat sie doch noch die weißen Eier (auf einem weißen Tuch) fotografiert und Fata Morgana genannt. Sie erscheinen zusammen mit Muscheln, die von dem blauen Boot des „Souvenirhändlers“ stammen könnten. In einer Muschelschnecke, die wie ein weißes Ei aussieht, liegt noch ein Ring.

 

Schon vor meiner Reise in den Senegal hatte ich  eine weiße Frau mit langen schwarzen Haaren gemalt, wie sie nackt in eine riesige Muschel hineinschaut, die in einer urzeitlichen Landschaft liegt.[11]

Es war für die Ausstellung Eyland mit Juliane Solmsdorf entstanden, in der wir uns mit Etant donnés: 1° la chute d’eau/2° le gaz d’éclairage von Marcel Duchamp beschäftigten . Wir verlegten das Geschehen in die vorgeschichtliche Landschaft um Potsdam, den Hintergrund des Bildes übernahm ich von einem gemalten Panorama aus dem Berliner Naturkundemuseum. In den Arbeiten von Marcel Duchamp finden sich sowohl Scharniere wie Durchschusslöcher zwischen verschiedenen Dimensionen; Körper können eine Innen- und eine Außenseite haben, die plötzlich  umgestülpt erscheinen können.

In Etant Donnés… liegt eine dreidimensionale Wachsfigur im Gras, die sich wie in einem Diorama mit dem zweidimensionalen Hintergrund verbindet. Sie ist einer Geliebten von Duchamp nachgeformt. Ihr Geschlecht sieht sehr merkwürdig aus: Es ist zwar dem voyeuristischen Blick durch das Peephole der Zentralperspektive dargeboten, aber es sieht eher aus wie eine Verletzung, ein ungelenker Schnitt, der die Hülle versehrt.

Auch der Coin de chasteté,  den Duchamp seiner Frau Teeny schenkte, damit sie ihn anstelle eines Eherings mit sich herumtragen sollte, ist gleichzeitig Innen und Außen: ein Keil, der sich in das Wachs drängt, das zwar an eine weibliche Scheide denken lässt, aber vielleicht nichts ist als eine Hülle; und der Keil selbst wäre dann das Innere des Organs.

 

Ich fotografierte Juliane Solmsdorf dabei, wie sie sich nackt ihr eigenes Knie in Gips abformte.

Dieses abgeformte Knie liegt nun auf einem kleinen Marmortischchen, weiß und hart wie Knochen, war aber eigentlich einmal weiches Fleisch.  Auch die „chute d’eau“ im Hintergrund von Etant donnés… entstand als Hohlform neu: als die leere Stelle in einem Sandbecken, in das Juliane Solmsdorf hinein uriniert hatte – das Wasser, das aus dem Körper wieder in den Sand austritt, statt des Meereswassers, das über den Sand spült und die Muscheln leben lässt.  Alejandro Jodorowsky sagte später in meinen Gespräch mit ihm: „Die Muschel, das ist die Erinnerung. Die Erinnerung der Welt. Denn das war einmal ein lebendiges Wesen.“

Das Knie wie die leere Stelle der Pisse bewahren den Abdruck des lebendigen Leibs der Künstlerin, und ähneln damit für mich den Muscheln und Schnecken, deren hartes Exoskelett noch lange die Innenform des weichen Wesens bewahrt, das die lebendige Muschel einmal war.

 

Auch mit Mathilde Rosier hatte ich sehr viel über Muscheln, Rituale und Religionen gesprochen. Ihr Regal mit den Schuhen und Muscheln zeigt die leeren Hüllen der Füße, unsere kleinen Exoskelette, die aus der Haut anderer Tiere gemacht sind; neben den Muscheln in einem Regal, das halb eine Museumsvitrine sein könnte, halb das Regal einer „Collectioneuse“ von Schuhen und Muscheln.

Während der Ausstellungseröffnung findet ein Ritual statt, das Mathilde Rosier entworfen hat, und an dem alle Gäste teilnehmen können. Wir tragen Muschelmasken, die von ihr gemalt wurden und die uns in gehende, sprechende Zwitterwesen verwandeln. Wir trinken unsere  Getränke durch Strohhalme und benehmen uns wie Menschen, aber wir können unsere Gesichter nicht mehr unterscheiden.

„ Das Ritual ist einfach, in seiner Essenz, eine Herausforderung. Seine Kraft kommt aus seiner spektakulären Absurdität.

Es handhabt rigoros die inkohärenten Waffen des Traumes, um die allzu nahe Verbindung mit dem Sichtbaren zu brechen. Wenn eine Gesellschaft utilitaristisch wird, wird dieses Ritual ausgelöscht.

Die Maske des Rituals verbirgt das Gesicht, das selbst die Alltagsmaske ist. Es befreit von der Erscheinung, um uns selbst unsere tiefere Identität zu zeigen.“ (Mathilde Rosier)

 

 

 

III DER METEORIT

Mein Gemälde Meteoarises entstand für Katrin Vellrath/Arises[12]. Sie hatte mich und andere Freundinnen eingeladen, Kunst zu ihrer Musik zu machen. Mein Bild zeigt sie in der Yoga-Position des Tisches, auf ihrem Körper liegt der schwere schwarze Stein.  Sie stemmt ihn, aber er liegt auch auf ihr, es bleibt in der Schwebe. Juliane Solmsdorf hatte für dieselbe Ausstellung die Installation A Rise is a Rise is a Rise is gemacht: einen Sandboden mit konzentrischen Kreisen, auf dem ein goldener Tennis-Schiedsrichterstuhl und ein Regisseurstuhl stehen.

Das Ensemble hatte sie genau so in Avignon in der Stadt als „Remarked Sculpture“ fotografiert und für die Ausstellung appropriiert und rekonstruiert.  Diese Installation fügte sich ganz von selbst mit meinem Bild zusammen. Während der Stein auf dem Bauch meiner Freundin ein schweres Zentrum bildet, ist das Zentrum des weißen Sandplatzes leer. Hier könnte sich etwas ereignen, es könnte gespielt werden; aber jedes Spiel wird die sorgfältig gezogenen Kreise im Sand verändern.

 

2005 verbrachte ich vier Monate in Beijing. Als ich das erste Mal über die Ringautobahn fuhr, war ich überwältigt von der funktionalen Hässlichkeit, mit der hier Wohneinheiten, Kaufeinheiten und Mobilitätseinheiten die Menschenmassen regulieren. Alles in einem hellen, ermüdenden Grau, verhüllt von Smog und dem Staub aus der Wüste Gobi. Erst nach einigen Wochen begann ich zu verstehen, dass es überall Winkel gab, in denen die Beijinger eine ganz andere Form des Lebens führten: ein Wildwuchs, der die durchgeplanten, klar umrissenen Formen umspülte.

Wir lernten einen amerikanischen Anwalt kennen, der das alte Beijing wie eine Geisterstadt unter der neuen Form kannte, sagen konnte, wo früher ein Tempel gestanden, in welcher Straße die Tuchhändler waren. Er führte uns zu einem der wenigen Tempelgelände, in dem ein Antik- und Flohmarkt stattfand, nicht für Touristen, sondern für Chinesen. Und dort gab es an fast jedem Stand Dinge, die mir rätselhaft waren, aber offensichtlich für die Chinesen einen hohen Wert besaßen. Ich kaufte einen Meteoriten, eine Teekanne in Form einer menschlichen Hand und eine merkwürdige schwärzliche kleine Skulptur, die ich lange für eine Art Alge oder Qualle, jedenfalls ein Meerwesen hielt. Außerdem fand ich dort drei kleine, unregelmäßig geformte Steine, die man auf geschnitzte Söckelchen setzte.

Der Stein, die Kugel, die Augen. Gespräch zwischen El Hadji Sy und Antje Majewski, Dakar

2010

 

Der Meteorit ist ein schwerer Brocken, der magnetisch ist. Wissenschaftlich gesehen ist er kein Meteorit, sondern ein Magnetit (siehe: Gutachten). Merkwürdigerweise hat das El Hadji Sy in unserem Gespräch erkannt: Er bezweifelte, dass es sich um einen Meteoriten handelt und vermutete eine Herkunft aus dem Magma, dem Erdinneren, statt aus dem Kosmos. Er setzte den Stein in Bezug zu einem Gespräch, dass er mit dem Filmemacher Mambéty führte, und „in dem die Frage aufkam: Was hat Gott in die Steine gelegt?“ Mambétys letzter Film hätte Die kleine Steinschneiderin heißen sollen. El Hadji Sy suchte nach seinem Tod einen natürlichen, runden Stein, der für ihn, symbolisch gesehen, Mambéty „ist“. Für ihn stand mein „Meteorit“ in Bezug zu den Toten. In einem Teil des Gesprächs, der leider nur sehr schlecht aufgenommen wurde, erzählt er mir, dass im Senegal die Jugendlichen für ihre Initiation in den Wald gehen. Stirbt während dieser Zeit eines der Kinder, dann wird ihm ein großer Stein am Eingang zum Dorf gesetzt. Auch wir setzen Steine für unsere Toten. Auf dem schwarzen Grabstein meines Vaters, der meinem Meteoriten ähnelt, steht ein Text von Friedrich Hölderlin. Diese symbolischen Setzungen kommen uns so selbstverständlich vor, dass wir uns nicht mehr fragen, wie es sein kann, dass der Stein mit dem Namen des Toten zu seinem Double wird: Blumengeschenke, Feuer und Wasser empfängt.

Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland

 

Da mein Meteorit/Magnetit Metall enthält und stark magnetisch ist, steht er aber auch in Bezug zu den Werkzeugen. El Hadji Sy schenkte mir ein merkwürdiges Objekt: einen Metallblock, der nicht wie meiner natürlich entstanden war, sondern von den chinesischen Arbeitern hinterlassen wurde, nachdem sie das Stadium von Dakar gebaut hatten. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und den afrikanischen Ländern haben nicht nur mit dem Rohstoffbedarf Chinas zu tun: Schon seit Langem bauen Chinesen in afrikanischen Ländern Stadien, Eisenbahnen und Regierungsgebäude, und anders als die Europäer haben sie längst erkannt, dass auch Afrika ein Markt ist, selbst wenn es um sehr billige Gegenstände geht.

 

Die Funktion dieses chinesischen Metallblocks kannte El Sy nicht, aber er hatte ihm eine neue Bedeutung gegeben, indem er ihn golden angemalt hatte. Der Block ähnelt einem Goldbarren, ohne seine symbolische Funktion zu übernehmen (sonst hätte ich ihn nicht im Handgepäck durch den Zoll bringen können). Am Anfang hatte El Sy bereits über die Kaurimuscheln gesprochen, die früher in Afrika die Funktion von Geld hatten. Auch Geld ist nichts anderes als eine symbolische Vereinbarung, die nur magisch funktionieren kann. Der Goldbarren spricht vom Wert, aber er hat keinen. Er ist nur ein Fundstück, das nun nicht einmal mehr seine Funktion als Werkzeug ausüben kann. Dennoch trägt er ganz China in sich und den Moment seiner Geschichte, in dem China die Richtung des globalisierten Kapitalismus einschlägt (Issa Samb). Wie auch El Hadji Sy im Gespräch differenziert: Dieser Goldbarren ist das, was er in China war; das, was er war, als er von den Chinesen im Senegal hinterlassen wurde; aber durch El Hadji Sys Intervention hat er auch eine neue Bedeutung erhalten: die des nicht konvertiblen Werts. Und diesen Wert durfte ich als Geschenk mit nach Berlin nehmen.

 

Im Frühjahr 2011 reiste ich erneut nach China, nun aber in den Süden, nach Guangzhou, um der „Geschichte des Landes, aus dem das Objekt zu dir gekommen ist, die Geschichte der Männer dieses Landes, der Frauen dieses Landes“ nachzugehen, wie Issa Samb es gefordert hatte. Die Objekte stammten zwar aus Beijing, aber in Südchina gab es sowohl Meteoritenfelder wie auch Plantagen mit Buddha-Hand-Zitronen –  die Skulptur, die ich für eine Qualle gehalten hatte, stellte tatsächlich eine Zitrusfrucht dar.

Shuxian Xu, Die Antworten

 

Shuxian Xu, meine Assistentin, die auf dieser Reise zu einer guten Freundin wurde und zu jedem meiner Objekte die richtigen Verbindungen herstellte, machte mich als erstes mit der Meteoritenforscherin Lu Ling bekannt. Lu Ling erklärte mir ihre Theorie, alles Leben auf der Erde sei aus den Formen der aufgewirbelten Wolken durch die Meteoriteneinschläge in die Urerde entstanden. Sie wollte mich zu einem Dorf bringen, in dem man viele Meteoriten gefunden hatte und einen besonders großen, den „Eisernen Ochsen“, vor dem Ahnentempel aufbewahrte.

 

Das Dorf empfing mich mit einem großen Essen, und ich ließ mir von allen ihre Geschichten erzählen. Wäre ich eine Ethnografin, würde man das wohl einen „field trip“ nennen, bei dem ich die erste Touristin aus Europa war, die das Dorf kennenlernte.

Viele Dorfeinwohner sammelten Meteoriten für die Forscher. Sie selbst verbanden damit vor allem: Glück für das Dorf. Einer sagte, er wünsche sich, dass der große Meteorit der ganzen Menschheit Glück bringen möge. Ein alter Mann meinte dagegen, dass für ihn die Meteoriten Unglück brächten. Am Anfang habe es die Erdgöttin Nüwa gegeben. Sie wurde in einen Streit verwickelt, und im Himmel entstand ein Riss. Diesen Riss flickte sie mit Steinen, aber ab und zu fallen welche herunter. Sie sind keine guten Zeichen.[13] Und man müsse ja nur über den Berg gehen, um zur Mine seltener Erden zu gelangen, die das Unglück des Dorfes sei.

Die Dorfbewohner befinden sich in einem Konflikt mit der Regierung, bei dem Lu Ling vermittelt: Die Mine verseucht ihr Wasser und belastet die Landwirtschaft. Ich halte es übrigens für sehr wahrscheinlich, dass auch die sogenannten Meteoriten des Dorfes in Wirklichkeit vulkanischen Ursprungs sind; denn als erstes zeigte man mir einen Teich, in dem immer wieder Blasen an die Oberfläche blubberten. Das ganze Dorf, immerhin eine dreihundert Jahre alte Anlage nach Feng-Shui-Prinzipien, soll umgesiedelt werden. Im heutigen China der rasanten Industrialisierung auf Kosten der Umwelt gibt es unzählige solcher Konflikte auf lokaler Ebene, die für die Dorfbewohner schnell existenzbedrohend werden können.

Allerdings wäre es möglich, dass der Meteorit gerade hier Glück bringen könnte, denn wenn es noch mehr Touristen wie mich gäbe, dann könnte man der Regierung gegenüber anders auftreten. Deshalb wurde ich nicht nur bewirtet, sondern auch sehr oft mit verschiedenen Gruppen fotografiert.  Die Fotos mit mir wurden im Ahnentempel aufgehängt, mit einem schönen Dankesbrief, den ich mit Shuxians Hilfe verfasste; und der ökologisch denkende Bürgermeister wurde schon bald darauf zum Vorsteher mehrerer Dörfer gewählt. Möge ihnen der Meteorit, der mich dorthin geführt hat, Glück bringen!

 

Auch aus früheren Zeiten wurde mir eine Geschichte erzählt, die mit der Qualität des Wassers zu tun hatte. Man hatte im Dorf einen Fischteich angelegt, dort, wo er nach Feng Shui hingehörte. Aber als man den Meteoriten vor dem Ahnentempel aufgestellt hatte, starben alle Fische im Wasser. Der Feng-Shui-Meister musste geholt werden, um eine Kerbe in den Meteoriten zu schlagen, erst dann blieben die Fische gesund. Man sagte sich, dass er wohl zu respektlos behandelt worden sei, die Kinder seien auf ihm herumgeritten, und setzte ihn deshalb auf einen schönen Sockel. Allerdings reiten die Kinder immer noch auf ihm, und die Fische sind immer noch tot. Die Geschichte kam mir merkwürdig vor. Warum musste eine Kerbe geschlagen werden, war das nicht auch respektlos?

Wir machten noch eine Wanderung, die uns in eine der schönsten Landschaften führte, die ich je gesehen habe. Wir gingen über Bergrücken, durch Bambushaine und gelangten in ein Tal voll Orangenbäume, die voller Früchte hingen. Ein Bach floss zwischen großen runden Steinbrocken hindurch. Schließlich erreichten wir die kleine Hütte des ehemaligen Dorfvorstehers, die hinter zwei gewaltigen runden Felsblöcken lag. Er nannte sie Yin und Yang.  Von ihnen sah man ins Tal hinunter und auf einen weiteren kleineren Block: Guan Yin. Auf Yang stehend, erzählte mir der Alte dann eine Variante. Man habe den Meteoriten beim Ahnentempel aufgestellt, aber er sei von selbst weggegangen und habe sich am Morgen beim Fluss befunden. Man brachte ihn zurück, aber er verschwand wieder. Man glaubte nun, er sei vielleicht ein Fischgott. Nachdem dies dreimal geschehen war, holte man den Feng-Shui-Meister, der eine Kerbe in den Gott schlug, und endlich hörte er auf herumzugehen und blieb beim Ahnentempel.

 

Auf dem Rückweg gingen wir noch am Tempel für den Gott der Erde vorbei. Es erschien mir sehr sinnvoll für solch ein Dorf: im Zentrum ein Ahnentempel, der die Gemeinschaft stärkt, und in dem Hochzeiten stattfinden; auf einem Feld ein bescheidener kleiner Tempel für den Gott der Erde, dem man von seinen eigenen Früchten bringt.

 

IV: DIE DOSE AUS WOHLRIECHENDEM MAROKKANISCHEM WURZELHOLZ. ENTHÄLT EINE SCHWARZE KUGEL ODER ZWEI GLASAUGEN

Die schwarze Kugel hatte ich etwa 2004 in Warschau gekauft; die Glasaugen waren Requisiten für einen Film gewesen und stammten aus der Praxis eines Berliner Augenarztes, der Glasaugen einsetzt; die Dose aus marokkanischem Wurzelholz stammt von einem Pariser Flohmarkt. Es ist also das einzige Objekt, das eigentlich aus mehreren Dingen unterschiedlicher Herkunft besteht.

 

Auf meinem Gemälde sieht man nur die geschlossene Dose. „Die kleine Dose mit der schwarzen Kugel, das ist die Magie. Man öffnet sie, und drinnen ist das Mysterium.“ (Alejandro Jodorowsky)

 

Es stellte sich heraus, dass die Kugel sich ähnlich verhielt wie der wandernde Meteorit: Sie wollte von einem Ort zum anderen, hier und dort auftauchen und durch verschiedene Hände gehen.

Sie wollte Zeiten und Räume verschieben oder transportieren. Außerdem wollte sie sich in ein Ei verwandeln, das sich multiplizierte.

 

Gleich nach meiner Rückkehr aus Dakar im Frühjahr 2010 luden mich Patrick Komorowski und France Fiction ein, an einem „Séminaire à la campagne“ teilzunehmen.  Sie hatten verschiedene Künstlerinnen und Künstler aufgefordert, den Augenblick wieder mit Leben zu füllen, den die Fotografien von Eustachy Kossakowski 1964 festgehalten hatten: als Edward Krasinski auf dem Land bei seinem Haus in Zalesie die Lanze in der Luft schweben ließ. Die Lanze ist eine blaue Linie aus Holz in mehreren Teilen, die durch einen feinen Draht zusammengehalten werden. Auf den Fotos sieht man diesen Draht nicht, und sie scheint in der Luft als ein Ding, das gleichzeitig fliegt und steht. Wir sollten nun auf dem Land bei Paris versuchen, diesen Moment zu rekonstruieren oder etwas Analoges herzustellen; das Ganze sollte ausdrücklich nicht dokumentiert werden, denn die Fotos von 1964 sollten die Dokumentation unserer Arbeiten von 2010 sein. Ich unterlief dieses Verbot, weil für mich meine Fotos nicht eine Dokumentation sind, sondern eher eine Verdoppelung oder Projektion des Moments von 1964, der sich über mehrere Orte und Zeiten hin erstreckt. Es ging also darum, eine Art „Einschussloch“ (Duchamp) herzustellen.

Antje Majewski, Eine schwarze Kugel und zwei Glasaugen

 

In Schönefeld erfuhr ich, dass mein Flugzeug nicht flog. Hinter mir in der Schlange stand Agnieszka Polska, die ebenfalls zum Séminaire eingeladen war. Und während unserer Irrfahrt nach Basel und von dort mit dem Zug nach Paris erzählte ich ihr, dass ich das Seminar schon begonnen hatte, indem ich nach Warschau gefahren war und dort mit meiner schwarzen Kugel eine Art Zeichnung auf der Terrasse von Krasinskis Atelierwohnung gemacht hatte, indem ich die Kugel wie beim Billard-Spiel gegen die Bande der Terrasse rollen ließ. Ich erzählte ihr auch, dass die Kugel vorher schon in den Senegal gereist war.  Eigentlich hätte ich sie gern für eine Zeit in seine Wohnung gelegt, unter die anderen Dinge, damit diese Besuch hätten. Krasinski selbst hatte dort immer viel Besuch gehabt, und so war die erste Idee seiner Galerie, der Foksal Gallery Foundation, seine Wohnung weiterhin für Künstler zu öffnen. Aber mir wurde gesagt, das ginge nicht, es sei nun ein Museum. Ein Museum, dessen Gegenstände allerdings dem Verfall überlassen waren, das ausdrücklich nichts konservieren wollte.

 

Edward Krasinski hatte nur einige Zeit seines Lebens auf dem Land verbracht –  seine glücklichste, wie mir eine Französin erzählte, die als junge Frau dort zu Gast gewesen war. Es habe dort ein großartiger Ball stattgefunden; er war noch mit seiner Frau Anka Ptaszkowska zusammen, die dann mit Kossakowski nach Paris zog; und er trank nicht. Eigentlich wohnte er in Warschau, im obersten Stock eines sozialistischen Wohngebäudes. Krasinski lebte dort inmitten seiner surrealen Objekte und großen Schwarz-Weiß-Fotografien, die Möbel verdoppelten und seinen Galeristen (als lebensgroße Fotografie) bis heute mit ihm Tischtennis spielen lassen. (Die Welt erscheint als Double, oder hängt vielleicht an einem Scharnier, das sich drehen lässt…)

 

Beim „Séminaire à la campagne“ trug ich einen Text vor, in dem ich von meinem Besuch bei Krasinski berichte. Ich ließ außerdem die anderen mit der Kugel die Zeichnung aus Warschau auf dem Gras nachspielen und auf die Holzdose zielen, die in der Mitte stand. Als jemand traf, sprangen die beiden Glasaugen heraus. Ich gab eines der Augen Patrick Komorowski und vergrub das andere im Boden. Diese Verankerung war mein „Einschussloch“: der Raum des Studios war auf das Gras gezeichnet, ich konnte nun durch die Tür in die Wohnung gehen, in der man mir verboten hatte, Objekte als Besucher hinzulegen, und doch etwas dort vergraben. Und auf diese Art, so behauptete ich, sei es möglich, aufs Land nach Zalesie zu reisen. Dort findet gerade der Ball statt. Früchte liegen um den Baum, Menschen und Puppen nehmen teil.

 

Dann geschah etwas sehr Seltsames. Schon seit einiger Zeit spielte ich ein situationistisches Spiel mit Juliane Solmsdorf. Wir hatten uns von Mathilde Rosier Straßennamen in Paris geben lassen, die ihr etwas bedeuteten. Wir fuhren zu diesen Straßen wie zu einem Blind Date. Einmal hatte ich es auch mit Delia Gonzalez gespielt, in diesem Fall führte das Spiel in eine Straße voll afrikanischer Läden, in der auch magische Dinge verkauft wurden. Nun war noch eine Straße übrig: die Rue Campagne Première.

Am Tag nach dem Séminaire fuhren Juliane Solmsdorf, Patrick Komorowski und ich dorthin. Es war eine kleine Sackgasse, nichts Besonderes. Und dann sagte Patrick: „Hier war die Galerie von Anka Ptaszkowska, das weißt du doch, oder?“ Natürlich wusste ich das nicht, und ich war geschockt. Die Frau, die sowohl mit Krasinski wie mit Kossakowski zusammen gewesen war, hatte hier eine sehr interessante Galerie für Konzeptkunst geführt – genau hier, von allen Tausenden Straßen in Paris! Und unser situationistisches Spiel, das vor zwei Jahren mit einer Liste von Straßennamen begonnen hatte, führte mich dorthin. Danach war ich kaum noch überrascht, als ich erfuhr, dass weiter unten ein Hotel lag, in dem Duchamp oft gewohnt hatte.[14] In dieser Straße hat Yves Klein seinen Sprung ins Leere fotografiert; und hier wurde die Endszene von Godards Au bout du souffle gedreht, in der Belmondo stirbt. Es ist wirklich nur eine kleine, ganz normale Straße.[15]

 

Als ich auf dem Hinflug Agnieszka von der Kugel erzählte, sagte sie: „Das erinnert mich an einen polnischen Konzeptkünstler der 60er-Jahre“, und ich sagte: „Paweł Freisler?“ Wir waren beide sehr erstaunt, denn Freisler ist als Künstler eine Legende, die nicht vielen bekannt ist. Er war vor etwa 20 Jahren verschwunden, lebte „in Norwegen“ und arbeitete angeblich in seinem Garten „mit Äpfeln“, wie ich von Freunden gehört hatte. All das war Teil seiner Arbeit, die seit Langem darin bestand, keine materiellen Kunstwerke zu zeigen, sondern Legenden zirkulieren zu lassen.[16]

 

Freisler hatte 1968 begonnen mit einem Ei zu arbeiten, das er am 14. 08. 1969 für das Laboratorium Sztuki Galerii EL in einer Fabrik für Präzisionsinstrumente in Stahl gießen ließ. Er nannte es zunächst Stalowy wzór jajka kurzego (Standard-Hühnerei aus Stahl). Daraus wurde wenig später Imperialny wzór jajka kurzego (Imperialer Standard eines Hühnereis) und heute meist Stalowe jajo (Stahl-Ei), bzw. The Egg oder Das Ei. Da die Geschichte Des Eis noch andauert, ist auch sein Titel noch „in der Formulierung“ (Paweł Freisler).  Das Ei wurde nicht ausgestellt, sondern Menschen anvertraut. Unter anderem trug es der beliebte polnische Schauspieler Wiesław Gołas vom Februar 1970 bis Februar 1971 mit sich herum und musste es auf Verlangen vorzeigen; und es wurde nach Paris gebracht, wo es von Jean-Paul Belmondo auf seiner Kühlerhaube spazieren gefahren wurde[17].

 

Auf dem Rückflug wurde Agnieszka und mir klar, dass wir beide Freisler unbedingt besuchen wollten. Ich leitete in diesem Sommer mit Juliane Solmsdorf, Dirk Peuker und Magdalena Magiera zusammen einen großen leeren Raum beim Fernsehturm in Berlin, den „Splace“, in den wir befreundete Künstlerinnen und Künstler zu insgesamt 12 Ausstellungen einluden.[18] Es gab kein Geld, kein Licht, aber sehr viel Platz. Ich lud Agnieszka ein, dort mit mir eine Ausstellung zu Freisler zu machen. Wir versuchten, mit ihm in Kontakt zu kommen, aber er antwortete nicht.

 

Schließlich schrieb ich den Text für eine Performance, in der wir beide nach Schweden reisen und dort sein Ei stehlen, indem wir kleine Maschinen in seinen Garten schicken, wo es vergraben liegt. Die Maschinen buddeln sich durch die Erde und bringen uns Das Ei, das wir dann nach Berlin mitnehmen und im rotierenden Restaurant des Fernsehturms unter einen Tisch kleben.

Tatsächlich wässerten wir einen imaginären Garten auf dem Betonboden des Splace mitten in Berlin mit Wasser, das wir aus einem verborgenen Hydranten im Boden vom Alexanderplatz geholt hatten. Ich streute Metallsamen aus, kleine Kugeln, die die Besucher mitnehmen konnten.

Antje Majewski, Freisler

 

Außerdem wurde Agnieszkas Film Ogrod gezeigt. Hier wird man in Freislers Garten geführt, in dem mitten in den Pflanzen auch sein Ei liegt. Eine Stimme aus dem Off, von der man nur eine Hand sieht, erklärt, wie sorgfältig die seltenen Blumen gezogen werden, nennt ihre komplizierten Namen, erklärt das besondere Sprinklersystem und die Vorsichtsmaßnahmen gegen Schädlinge.

 

Wenig später bat ich das Kunsthaus Graz, eine offizielle Anfrage nach dem Ei an Freisler zu schicken,  und zu unserem großen Erstaunen sagte er zu. Ich schrieb ihm, wie glücklich ich darüber sei, und schickte ihm meinen Text. So begann ein Austausch von E-Mails, in den auch Agnieszka Polska, Adam Budak, Katia Huemer und Elisabeth Ganser involviert waren und der inzwischen selbst ein Buch geworden ist, von dem wir hier nur Auszüge drucken können.

Die schwarze Kugel, Das Ei. Briefwechsel zwischen Pawel Freisler,  Łukasz Ronduda, Rasmus Nielsen etc. Oktober 2010-August 2011

 

Pawel Freisler, der uns aus Schweden schrieb, nicht aus Norwegen, schickte als erstes Foto Des Eis sein eigenes Porträt hinter einem Ei-förmigen Deckel, das seine Frau aufgenommen hatte.

Dann benannte er Łukasz Ronduda als denjenigen, der im Rahmen meiner Ausstellung die Geschichte Des Eis erzählen sollte. Er sei Der Professor, ein Kunstwerk, das Pawel Freisler schon seit längerem entwickelt hatte. Łukasz Ronduda, der Professor, schickte uns die Fotokopie von zwei Seiten aus seinem mit Łukasz Gorczyca geschriebenen Roman, in dem er von seiner Begegnung mit Freisler berichtet und seine Berufung zum Professor beschreibt – der für Die Gimel-Welt zum ersten Mal aktiviert wird. Neben den fotokopierten und übersetzten Seiten des Romans sollten wir ein Foto aufhängen, das Ronduda als den Professor zeigt.

 

Ein Skelett, „das mit zwei Krügen die Welt durchwandert“ sei die „Rückseite“ des Professors, „seine Hand, dividierend, multiplizierend, inter alia, Das Ei“. Diese gehen ab ovo usque ad mala, vom Ei bis zu den Äpfeln. „Äpfel sind das Sujet, das Motiv meiner Arbeit in den letzten zwei Jahren. Dies ist tatsächlich ein Versuch, eine ganze neue Tradition von einem Ende und einem Anfang von Leben und Tod fortzuführen ( ).“ Ich dürfe annehmen, dass er einen Garten habe, unter der Voraussetzung, dass wir uns nie kennenlernen würden.

Łukasz Ronduda

 

Freisler vertraute also Łukasz Ronduda die Erzählung seiner Legende, mir jedoch Das Ei selbst an, als seine Einlage in eine Bank: „Das Ei in ein Bankschließfach zu legen, bedeutet, das System zu akzeptieren… und vice versa, das System muss Das Ei akzeptieren, seine Andersartigkeit.“ Diese Bank arbeitet „im Unterbewussten“: „Man könnte auch eine Eigene Bank bilden“, mit dem Ei als Einlage, die Kredit vergeben könnte („Kredit von Vertrauen“).“

 

Der Kreditverleih und die Multiplikation Des Eis aus dem Unbewussten setzte auf eine sehr unerwartete Art ein. Simon Starling und Rasmus Nielsen (Superflex) schlugen Adam Budak für das Jubiläumsjahr ein Projekt vor, ohne von Freisler zu wissen. Sie wollten neun unterschiedlich große Eier aus Stahl produzieren lassen, die als „Aliens“ in die verschiedenen Abteilungen des Joanneums wandern und dort mit den Dingen der Abteilungen in Verbindung  treten sollten, wobei neue Geschichten entstehen würden – eines sollte sogar von einer der Kuratorinnen mit sich herumgetragen werden, genau wie Das Ei von Freisler vierzig Jahre früher. Diese Eier sollten nicht „Standard“-, sondern „Super“-Eier heißen und basierten auf einem Entwurf von Piet Hein. Sie sind an beiden Seiten abgeflacht, sodass sie von selbst stehen können.

 

Ich schickte Freisler ein E-Mail, in dem ich ihm von dieser neuen Entwicklung berichtete, den neun Super Eggs, die seinem Ei Gesellschaft leisten würden. Freisler antwortete nicht. Im Frühjahr bat das Kunsthaus Graz ihn dann, Das Ei zu schicken, da die ersten Super Eggs fertig waren und wir gern ein Treffen der Eier herbeiführen wollten. Nach ein paar weiteren konzeptuellen Komplikationen bezüglich des Versicherungswerts (der „größtmögliche“) und der Adresse für den Leihschein (er gab uns zwei Hausnummern in derselben Straße zur Auswahl: Nummer 24b und 23b – wir wählten die ungerade Nummer) erreichte Das Ei schließlich Graz, eingewickelt in einen dichten grauen Bart.

 

Dort waren inzwischen Super Eggs ins Zeughaus und ins Archäologiemuseum im Park von Schloss Eggenberg „gelegt“ worden. Das schwerste, das fast eine Tonne wog, wurde in die Ausstellung Vermessung der Welt im Kunsthaus gebracht und bleibt in der Gimel-Welt an derselben Stelle.

Simon Starling und Superflex, e.g.

 

Aber wie sollte Das Ei nun in der Ausstellung gezeigt werden? Ich selbst wollte es natürlich am liebsten „stehlen“ und mit Agnieszka Polska auf den Fernsehturm bringen. Freisler antwortete, der Leihvertrag sei mit dem Kunsthaus Graz abgeschlossen worden, aber ich dürfe gern eine Kopie Des Eis machen. Wir beauftragten dieselbe Firma, die auch die Super Eggs gegossen hatte, mit einer Kopie, die die Nummer 1 erhielt.

Das Original ist nun statt in einem Bankschließfach in einer Hochsicherheitsvitrine in der Ausstellung zu sehen, derselben wie für den Coin de chastété von Marcel Duchamp. Die Kopie wurde mir nach Berlin geschickt.  Ich ging mit Agnieszka Polska im rotierenden Restaurant im Fernsehturm essen (es gab Schwein); und wir ließen Das Ei  (Kopie Nr.1) ein paar Runden fahren, sodass sich die Stadt in ihm spiegeln konnte.  [19]

 

Im Herbst werde ich es aufs Land bringen und ein ein großes Festfeiern, bei dem ich mein Landhaus „23b“ nennen und Das Ei (Kopie Nr.1) im Garten vergraben werde. Bei dem Fest essen wir große Brote, die wie Kinder aussehen; tragen Masken und singen; und es gibt auch Früchte, Puppen und andere Dinge. Wir pflanzen einen Apfelbaum, einen Nussbaum, einen Kirschbaum, Rosen und viele andere Pflanzen. Meine Freunde helfen mir, eine kleine Pyramide aus Steinen über Dem Ei (Kopie Nr.1)  aufzuschichten, damit ich nicht vergesse, wo genau es liegt. Wenn die Ausstellung zu Ende ist, wird es nach Graz geschickt und dort ausgestellt. Die Ausarbeitung der Bedingungen wird in der Hand des Kunsthauses liegen.

 

 

 

V: DIE TEEKANNE AUS TON IN FORM EINER MENSCHLICHEN HAND

Im Sommer 2008 war ich mit Delia Gonzalez nach Paris geflogen, um eine Tarot-Lesung von Alejandro Jodorowsky in einem kleinen Bistro zu erleben.[20] Er kommt mittwochs dorthin, aber nicht immer; man muss im Café am selben Tag anrufen, um zu erfahren, ob er kommen wird. Nach vielen Stunden des Wartens erschien er, aber wir gehörten nicht zu denen, die ausgewählt wurden. Man legt seinen Namen in einen kleinen Korb, zahlt 5 Euro, die dem Bistro zugutekommen, und die ersten zehn, deren Namen gezogen werden, bekommen eine Lesung. Sehr verschiedene Menschen waren gekommen, von jungen Comic-Fans bis zu alten Südamerikanerinnen, die wegen des Tarots hier waren. Jodorowsky konzentrierte sich sehr auf die Menschen, mit denen er sprach, aber alles konnte von den anderen gehört und auch kommentiert werden.

 

Ich wünschte mir, er würde mir etwas über meine Objekte sagen. Irgendwie fand ich im Sommer 2010 seine Nummer heraus. Er sagte, er müsse noch einen psychomagischen Akt in Argentinien machen, ich solle ihn in der ersten Dezemberwoche wieder anrufen. Ich buchte einen Flug und  rief ihn von Paris aus an. Ich durfte vorbeikommen. Er wohnt sehr nah bei dem Café, in dem er Tarot gelesen hatte, in einer der großen alten Pariser Wohnungen. Bis auf zwei herumspringende Katzen war er allein, gerade bei der Arbeit am Computer, und ließ mich ein, ohne etwas über mich zu wissen.

Die Hand, die gibt. Gespräch zwischen Alejandro Jodorowsky und Antje Majewski. Paris, 2010

 

Ich legte meine Objekte auf den Tisch. Die Buddha-Hand hatte ich in Berlin vergessen; der Hedge Apple war nur virtuell; und den weißen Stein hatte ich noch nicht hinzugefügt, also waren es nur vier. Jodorowsky schrieb mir ihre Bedeutungen auf Post-It-Zettel.

 

„Der Meteorit:

Por el cosmos viajan los meteoritos transportando el gérmen de la consciencia.

Durch den Kosmos reisen die Meteoriten, den Samen des Bewusstseins transportierend.

 

Die Muschel:

Un coquillage pequeño puede ser el esqueleto de un océano.

Eine kleine Muschel kann das Skelett eines Ozeans sein.

 

Die Teekannen-Hand:

Por tu mano abierta puede derramarse todo el amor del universo.

Aus deiner offenen Hand kann sich die ganze Liebe des Universums ergießen.

 

Die Dose mit der schwarzen Kugel:

Dentro de cada espiritú anida la vacuidad.

In jedem Geist nistet die Leere.”

 

Ich wollte noch mehr wissen. Gut, sagte er, die Dinge selbst sprechen eine Sprache, die wir nur empfinden, aber nicht sprechen können. Aber man kann sie übersetzen. Meine Wahl der Objekte sei meine Art, mich in der Welt auszudrücken, eine Reflektion meines Unbewussten. Ich bat ihn, sich die Objekte ganz unabhängig von mir vorzustellen. Von allen war es hier die Teekannen-Hand, die am meisten zu ihm sprach. „Die gefällt mir sehr, die spricht zu mir. […]  Die offene Hand – die ganze Welt kann durch die offene Hand gehen. Diese Hand, die als Teekanne halb geöffnet ist, das ist die Hand, die gibt. Und das, was ich gebe, das gebe ich mir. Die Welt zu empfangen heißt der Welt zu geben.“  Ich sagte ihm, dass er selbst mir beim Tarot-Lesen so vorgekommen sei. Ja, aber er sei kein Heiliger. „Jeden Mittwoch imitiere ich Heiligkeit. Heiligkeit besteht darin, dem Anderen zu dienen. Ohne ihn zu beurteilen. […] Ohne irgendeine Gegenleistung. Einfach für das Vergnügen, das zu tun.“[21] Den Menschen zu geben, das sei etwas, von dem er annähme, das es ein profaner Heiliger tun müsse, aber es koste ihn große Anstrengung. Alles, worüber man sich definieren könnte, wie Geschlecht, Alter und Nation, seien nur Imitationen, nicht das Wesentliche. Aber immerhin imitiere er schon seit Jahrzehnten die Heiligkeit! „Und von Imitation zu Imitation gibt es Momente, in denen es gelingt.“

In seinem Regal hatte ich drei Blöcke aus Ton gesehen, golden angemalt, die mich an den Goldbarren erinnerten, den El Hadji Sy mir geschenkt hatte. Jodorowsky erklärte mir: „Mein Sohn[22] hat mich für alles bezahlt, was ich für ihn getan habe. Mit falschem Gold. Es gab sehr viel davon, aber es war so viel, dass ich nur vier behalten habe. Es ist eine Bezahlung für alles, was ich für ihn getan habe.“

Wie der falsche Goldbarren aus Afrika, der eigentlich von den Chinesen stammte und nun zu einem Geschenk für mich wurde, das nach Europa gebracht wurde; wie die „Eigene Bank“ Freislers,  unterlaufen auch diese Goldbarren die Idee des Geldes oder stellen eine andere Form der Währung dar.

Ein halbes Jahr später erfuhr ich, dass er zu einem Vortrag nach Berlin kommen würde, und schrieb ihm ein E-Mail mit der Bitte, mir die Goldbarren für die Ausstellung auszuleihen. Er antwortete nicht. Trotzdem ging ich natürlich zu seinem Vortrag, mit Delia Gonzalez und Mathilde Rosier. Der Raum war sehr voll, und Jodorowsky hatte mit seinen 82 Jahren keine Mühe, uns alle dazu zu bringen, uns an den Händen zu halten und komische Laute von uns zu geben.. Gegen Ende rief er plötzlich in die Menge: „Wo ist Oskar?“ „Das bin ich!“, rief ich, stand auf und ging nach vorne.[23] Er bat seine Frau Marianne Kosta, die am Rand saß, ihm einen Plastikbeutel über die vielen am Boden Sitzenden reichen zu lassen, und übergab ihn mir feierlich, vor dem ganzen Publikum. Die Goldbarren waren darin.  Shuxian Xu, Die Antworten

Es gibt noch eine zweite Geschichte der „gebenden Hand“.

In Guangzhou lernte ich im Frühjahr 2011 einen Experten für Teekannen, Tee und chinesische Tinte kennen, Huang Jian, eigentlich ein Student der Geschichte. Wir trafen uns in einem vegetarischen Restaurant auf dem Universitätsgelände. Ich bat ihn, meine Teekannen-Hand zu beurteilen.

„Das ist keine gute Teekanne. Sie ist wahrscheinlich ein Touristensouvenir, es ist möglich, dass man davon zur Zeit der Olympiade sehr viele hergestellt hat. Eine gute Teekanne muss einfach sein, das hier ist eine Konzept-Teekanne“, sagte er. „Die Form der Teekanne soll den Geist dessen übertragen, der sie geformt hat, nicht eine Idee.“

Ich hatte das Gefühl, dass es hier nicht nur um eine gute Form ging, und nicht nur um den Geist des Künstlers.

„Was für ein Gefühl ist es, eine gute Teekanne zu sehen?“, fragte ich.

„Ich kann es nur so beschreiben: sehr nah und sehr fern gleichzeitig.“

„Und was bedeutet es, Tee zu trinken?“

Der Koch des Restaurants hatte sich zu uns gesetzt. Er sagte:

„Tee-Trinken ist etwas, was man mit Freunden macht. Es bereitet Freude. Diese Hand ist für mich die Hand von Guan Yin. Ich glaube, sie bedeutet: Lass los (let go).”[24]

Tatsächlich hatte auch mich die Form der Hand mit ihren weichen Fingern an jene buddhistischer Skulpturen erinnert. Der Tee-Experte sagte mir, wenn ich wissen wolle, was Tee-Trinken sei, müsse ich eben Tee trinken. Wir könnten ja gemeinsam in ein Tee-Haus gehen, wenn das Restaurant schloss, denn auch der Restaurant-Besitzer, der Koch und ein paar andere Gäste würden mitkommen.

In einer großen Gruppe gingen wir durch den ruhigen Park der Universität und dann am Ufer entlang. In Guangzhou ist der Fluss nachts neonbunt beleuchtet, die changierenden Regenbogenfarben des Canton Towers und der Oper spiegeln sich im Wasser, Menschen tanzen, machen Tai Chi, promenieren. Auch das Teehaus war im Erdgeschoss eines modernen Gebäudes.  Vorne befindet sich ein Tee-Laden, hinten saß bereits eine Gruppe um den Teemeister herum. Das Teetrinken kostet nichts, jeder kann teilnehmen. Der Teemeister saß in der Mitte und brühte sehr ruhig verschiedene Tees auf, wobei sich die Kostbarkeit steigert: erst die jungen Tees, und am Schluss ein sehr alter Tee, den keiner der Anwesenden sich leisten könnte. Wir durften einen Pu-Erh-Tee aus den 50er-Jahren probieren, aus einer sehr alten Teekanne. Ich erfuhr, dass die Tees mit zunehmendem Alter mehr Qi[25] enthalten. Alle unterhielten sich, es wurde auch gelacht. Aus dem Gespräch hörte ich auf einmal etwas heraus, was mich sehr interessierte: Die Teekanne müsse „mit gutem Tee gefüttert werden.“ War denn die Teekanne lebendig? Ja, sagte man mir, nicht nur der Tee, sondern auch die Teekanne selbst enthalte Qi. Es käme auf ihre Form und ihr Alter an. Eine Teekanne sei ein lebendiges Wesen, so wie wir und auch der Tee. Teetrinken bedeute, mit dem Qi der Kanne und des Tees zu kommunizieren. Und nun solle ich bitte aufhören zu fragen und lieber Tee trinken.

Der Tee war sehr stark. Man goss ihn erst in ein kleines Gefäß, um daran zu riechen, erst dann wurde er von dort in ein Porzellan-Becherchen gegossen und getrunken. Viele schlossen dabei die Augen. Der letzte Tee war ein sehr freundliches Wesen, der meinen ganzen Körper durchfloss. Mir wurde heiß, und ich hatte das Gefühl, ich sei sehr weit weg und gleichzeitig ganz nah.

Gutachten Teekannenhand

 

Meine Teekannen-Hand mag keine gute Teekanne sein (dieser Meinung ist auch das Gutachten aus Graz); sie trägt in sich „den Moment, in dem China die Richtung des globalisierten Kapitalismus einschlägt“ (Issa Samb); aber ihre Hand hat eine schöne Geste. Sie gibt; und was aus dieser Hand fließt, Tee oder Wasser, wird ein Teil von uns, so wie wir auch ein Teil der Welt werden. Das geschieht mit jedem Atemzug, mit jedem Apfel, den wir essen.

Ingo Niermann führt uns in seiner Geschichte hinaus in den Wald, zu dem Versuch, sich mit dem Anderen zu vereinigen. „Warum sollte ich nur in Körpern und Gedanken sein? Ich umwickele Steine und durchziehe Pflanzen mit meinen Nervenbahnen und treibe sie tief in die Erde. Spüre den Druck der Daten, die durch die Leitungen huschen. Alles, was durch mich fühlt, bin ich. Ich denke die Welt.”

Ingo Niermann, Warum ich?

Auf meinem Gemälde The Gardener of Mechanical Objects   ist ein Gärtner zu sehen, dessen  rechte Hand aus Ton ist. Statt Wasser quellen bunte, verknotete Bänder heraus, die ihn mit dem Boden verbinden; mit der anderen sät er runde Metallkugeln in die Landschaft vor meinem Atelier, die von den Zügen überquert wird. Der Gärtner ist für mich eine Mischung aus Jodorowsky und Freisler[26] – wobei es in meiner Performance mit Agnieszka wir beiden waren, die diese Metallkugeln  aussäten. Die ganze Stadt ist der Garten dieses Gärtners der mechanischen Objekte, der sie aus der Teekannen-Hand begießt, aus der „Hand, die gibt“.

VI: DIE BUDDHA-HAND

Die Buddha-Hand ist ein „kulturelles sozialisiertes Objekt“ (Issa Samb), – so sehr, dass man nicht versteht, um was es sich handelt, wenn man nicht aus dieser Kultur kommt. Bei der Teekannenhand weiß man vielleicht nicht, warum sie gemacht wurde – aber wenn ich jemandem die Hand zeigte und demonstrierte, wie man den kleinen orangen Deckel abnehmen kann, wenn ich Wasser einfüllte und aus dem Zeigefinger ausgoss, dann verstand jeder die Transformation von „Hand“ in „Kanne“. Aber bei der Buddha-Hand begann das Rätselraten. Eine Qualle, eine Wurzel, ein Wesen, ein Was? Erst als ich Shuxian Xu Fotos meiner Objekte mailte, erfuhr ich den Namen und die Geschichte der Frucht.  Die Goldfinger-Zitrone oder Buddha-Hand-Zitrone stammt aus Südchina. An ihrem einen Ende faltet sich die Frucht in Schnitze auf, die alle von der Fruchthaut umschlossen sind. Nun ähnelt sie einer Hand mit vielen Fingern.

Gutachten: Goldfinger-Zitrone

Der Legende nach entstand diese wohlriechende Frucht aus der Hand der Prinzessin Miao Shan. Ihr Vater, der König, wollte nicht, dass sie Buddhistin wurde und verbannte sie in einen Garten. Dann wurde er sehr krank. Miao Shan erschienen Unsterbliche im Traum, die ihr sagten, sie solle ihre Arme und Augen opfern. Sie ließ daraus Armsuppe kochen und ihrem Vater bringen, der wieder gesund wurde, nachdem er davon gegessen hatte. Der Rest der Suppe wurde aufs Land ausgegossen, und daraus wuchs der Baum der Goldfinger-Zitrone. Miao Shan selbst sprossen hundert neue Arme und Augen, mit denen sie den leidenden Wesen in allen Welten helfen kann. Da es viele Welten gibt und sie nicht immer hier sein kann, hat sie unserer Welt den Pfau mit seinen Augen geschenkt, die auf uns schauen sollen. Sie ist eine Inkarnation des Bodhisattva Guan Yin (Hörer der Klagen der leidenden Lebewesen)[27].

Shuxian Xu, Die Antworten

Die Prozession, die Shuxian beschreibt, in der von den Mönchen des Guan-Yin-Tempels Papiergeschenke an den Strand gebracht und verbrannt werden, kann die buddhistische Vorstellung von der Scheinhaftigkeit und Vergänglichkeit der Welt symbolisieren. Aber die Priester stellten auch einen kleinen Tisch auf und opferten dem Meer Reis und Reiswein, der schnell in den Sand gekippt wurde – und die kleine weibliche Guan Yin des Tempels, die sich   hinter dem Rücken einer riesigen männlichen Figur verbarg, war mit einem Fisch zu einer Yemanja-artigen Meeresgottheit geworden. Wir saßen mit den Laien-Buddhistinnen zu ihren Füßen und falteten eine Lotusblume aus Papier, die dann am Meer geopfert wurde.

Mein Gemälde, das entstanden war, bevor ich die Geschichte der Miao Shan kannte, zeigt eine junge Frau in alter Tracht.[28] Sie hält die Skulptur der Buddha-Hand an ihrem weit ausgestreckten Arm, wie einen riesigen Fisch.

Als ich aus China zurück war, bat ich im Frühjahr meine Nichte und ihre Freundinnen, für den Film Prozession  von meinem Atelier aus die Straße zu überqueren, wobei sie die abstrahierten Formen einiger meiner Objekte trugen, die ich aus Papier nachgebaut hatte: eine Kugel (schwarze Kugel), einen Würfel (Meteorit), eine Art Bonbon (Buddha-Hand) und eine Papier-Lotusblume. Sie gehen singend bis zum Kanal und übergeben dort die Objekte dem Wasser – so wie man Yemanja opfert, oder Guan Yin. In Berlin aber fliegen sie einfach nur ins Wasser und fließen die Havel hinunter, bis sie im Schilf hängen bleiben. Man sieht dieselben blau-weiß gestreiften Pfeiler der Bahn im Hintergrund wie beim „Gärtner der mechanischen Objekte.“

Buddha-Hand-Zitronen wachsen auf großen Plantagen bei Jinhua. Wir bekamen in einer Plantage zwei kleine Pflänzchen geschenkt, die nun wachsen – das eine bei mir in Deutschland, das andere bei Shuxian in China. Außerdem besuchten wir einen daoistischen Tempel. Dort zeigte ein Dao-Gelehrter uns einen kleinen Baum, an dem noch eine Frucht hing (die er mir schenkte), und erklärte uns, dass man daraus guten Tee gegen Halsweh machen kann. Dao-Gelehrte kennen sich sehr gut mit Pflanzen und ihren  Anwendungen und mit dem menschlichen Körper aus, denn Qi kann gesteigert werden, indem man Körper und Geist gut behandelt.

Im Daoismus gibt es keinen personalisierten Gott, der etwas will, und keine konstante Seele; es gibt nur Qi und Dao, den Weg. Wenn das Eine (Yuanqi) sich teilt, wird es zu zweien (Yin und Yang), und daraus entstehen die Milliarden Wesen.

Ich habe in dem Kapitel der Buddha-Hand verschiedene Werke anderer Künstler versammelt.

Sie alle teilen mit der Buddha-Hand, dass sie von Künstlern gefertigt wurden, um etwas zu übermitteln oder zu überbringen. Alle enthalten so etwas wie kleine Kügelchen oder Zellteilungen.

Thomas Bayrles Madonna besteht aus einem Feld kleiner Kreuze. Es sind Kreuze Christi, aber auch die Kreuze der vielen, in Verdun gestorbenen Soldaten. Wie Guan Yin ist die Madonna eine All-Erbarmerin, die das Leid umfasst. Bayrles Madonna ist ein Kunstwerk, könnte aber auch in einer Kirche als Andachtsbild hängen.

Ein Rosenkranz kann nicht nur von Menschen, sondern auch von einem Motor „gesungen“ werden. In unserem Gespräch erzählt er, wie er als junger Mensch das erste Mal den Gesang – vermischt mit  den Geräuschen eines Getriebes – in seinen Maschinen hörte, als er noch in einer Weberei arbeitete. Ähnlich der tibetanischen Gebetsmühle, ist ein Motor eine effiziente Maschine, in der alle Einzelteile perfekt zusammenarbeiten müssen. Ziel solcher Hilfsmittel ist: die Masse der Gebete zu erhöhen. Die Organe unseres Körpers arbeiten mit derselben „gnadenlosen Effizienz“, wobei jede Zelle einzigartig ist, gleichzeitig aber auch ein winziges bisschen Freiheit enthält. Die Summe dieser kleinen Freiheiten addiert sich in ihrer Masse zu jener großartigen „enormen Freiheit“, die unser Körper ist.

Thomas Bayrles Batterie reflektiert wesentlich organisch oder synthetisch entstandene „Massen“.  Ob es  Massen in „Städten ab 10 Millionen Einwohnern“ sind oder Akkumulationen in der Natur. Als Kind lag er in der Wiese und erlebte „eine großartig, grauenhaft, schöne Symbiose. Wo  Millionen  von winzigen Lebewesen in unendlich komplexem  Lebenskampf  als Symbiose existieren… Myriaden von Teilchen sterben und andere dafür aufleben können…und alleine der Duft, der da drin ist…“

Thomas Bayrle

Auch an den Zweigen der Vase von Dirk Peuker wachsen kleine Zahnräder anstelle der Blüten. Seine Monoprints werden in einem seltenen Verfahren direkt auf das Fotopapier belichtet. Die Vase oder die Pagode aus Ästchen sind fragile Bauten für den Augenblick, bei denen eine Nachbearbeitung nicht möglich ist und kein Negativ existiert. Die Pagode ähnelt einem Tempelchen, das sich aus ein paar Zweigen zusammenfügt und bald wieder auseinanderfällt.

Delia Gonzalez‘ große Zeichnung bildet aus der Ferne ein strenges, minimalistisches Muster; geht man näher heran, entdeckt man Tausende von kleinen Kreisen mit einem Punkt darin, ähnlich den Pailletten auf dem Elegguá.

„Ich denke und fühle in Formen und Mustern, deshalb kann ich durch Musik und Zeichnungen die Gefühle ausdrücken, die ich nicht in Worte fassen kann: den visuellen Ton des Unterbewussten. In gewissem Sinn sind sie wie Zellen. Sie leben, atmen und arrangieren sich langsam neu: vielleicht sind sie meine Vorstellung von Anbetung. Ich habe immer Karten der Ereignisse meines Lebens gezeichnet und war immer besessen von Zellen. Ich habe mich wie eine isolierte Zelle befühlt, allein und von den anderen im System entfernt. Mit der Zeit haben sich diese Zellen multipliziert und eine eigene Form angenommen. Vielleicht sind meine Zeichnungen meine Art, mich in das System des Lebens zu integrieren, die biologische Ordnung des Lebens. Im meinen Zeichnungen beziehen sich die Kreise auch auf den Mond und repräsentieren Geburt, Tod, Wiedergeburt: den endlosen Kreis des Lebens.“[29]

Die kleine Figur von Delia Gonzalez und Gavin Russom, Elegguá, ist mit Pailletten besetzt, wie sie auch für Voodoo-Skulpturen und Stickereien verwendet werden, und hat ein Gesicht aus Kauri-Muscheln. Wie bei der kleinen Skulptur eines Kunsthandwerkers, die ich mit El Hadji Sy zusammen angeschaut hatte, in der einem Stein kleine Holzstückchen hinzugefügt wurden, ist das Gesicht hier aus drei kleinen Elementen entstanden, die eigentlich natürlich sind – aber, wie er erklärte, auch als Geld verwendet wurden. Ein Elegguá ist ein Gott der Wegkreuzungen, der die Verbindung zu den Göttern herstellt. Delia Gonzalez kommt aus einer exil-kubanischen Familie aus Miami, und ihre Arbeiten sind oft von der Santería beeinflusst. Der Elegguá ist eine Skulptur, aber auch ein kleiner Gott, dem man Schokolade und Bonbons hinlegen sollte, um ihn gnädig zu stimmen. Sie hatte ihn mir vor einigen Jahren geschenkt, im Tausch gegen das Bild einer Frau mit Afro-Haaren. Er wohnt normalerweise in meiner Küche.

Neal Taits kleine Leinwand zeigt eine Gestalt, die ebenfalls ein kleines Gesicht hat, aber kein Mensch sein kann. Sie ähnelt einer „Götzenfigur“ oder einem Organ. Umgeben wird sie von kleinen Kreisen, die eine Art Rosenkranz darum herum formen. Tait sieht die Malerei selbst als etwas Lebendiges, das einen eigenen Willen entwickeln kann und Spuren des  Entstehungsprozesses enthält. Auch dieses Bild war ein Geschenk.

Huang Jian, der auch ein Experte chinesischer Tinten war, schenkte mir einen Tintenblock aus den 70er-Jahren. Auch die Tinte enthält immer mehr Qi, je älter sie wird. Die Tinte ist mit einem Wolkenmuster verziert. Chinesische Landschaftszeichnungen können dasselbe Gefühl von „ganz nah und weit entfernt“ hervorrufen, das er beschrieben hatte – gute Tinte auf einem guten Papier ermöglicht das Fließen des Pinsels. Er schenkte mir auch ein Plastiktöpfchen mit flüssiger Tinte, um damit zu malen, denn der Tintenblock ist dafür zu wertvoll. Nun schulde ich ihm eine Tuschezeichnung.

Ein Armband aus großen Früchten gab mir der Onkel von Shuxian, Ma  Xiaozhong, ein Feng-Shui-Meister. Er trug es, als wir uns am letzten Tag in Guangzhou trafen, und hatte eine ähnliche Kette um den Hals. Noch bevor wir unser Gespräch begannen, schenkte er mir dieses Armband. Die Früchte haben eine Hülle, die aussieht, als sei sie eher eine Tierhaut als Bestandteil einer Pflanze. Shuxian sagte mir, sie seien eigentlich nicht wertvoll, aber schwer zu finden.

Ma Xiaozhong arbeitete für eine Firma, die traditionelle chinesische Medizin herstellte, und erteilte Rat. Er konnte auch das I Ging interpretieren. Ich hatte ihm einen der Meteoriten mitgebracht, die mir die Leute im Dorf geschenkt hatten. Er freute sich sehr darüber, weil in ihm einen liegenden Buddha sah. Der liegende Buddha zeigt den Moment, in dem Buddha ins Nirvana eingeht – auf der Seite liegend und lächelnd. Von meinen Objekten gefiel ihm die schwarze Kugel am besten. Sie erinnerte ihn an eine Tier-Perle und könne zum Heilen von Menschen benutzt werden.

Den Ball aus Algen hat mir Helke Bayrle geliehen. Er lag in ihrer Wohnung auf dem Sofa. Diese Bälle werden vom Meer aus Algen geformt. „Wir haben verrückte, gerollte, große Bälle zuhause. Die bestehen aus lauter kleinen Härchen. Das Meer hat sie lange Zeit gerollt. Es gibt Strände mit Millionen solcher Bälle. Wie lange werden die gerollt worden sein?

Das ist sehr, sehr schön. Diese Prozesse interessieren mich sehr.“

Helke erzählte mir, dass sie seit Jahrzehnten bei jeder Reise Steine mitnimmt, die sie am Meeresufer findet. Sie bringt sie nach Deutschland und nimmt sie auf der nächsten Reise wieder mit, um sie in einem anderen Land in ein anderes Meer zu werfen.

Helke Bayrle

„Jedes Mal, wenn ein Mensch ein Objekt von einem Ort an einen anderen bewegt, nimmt er an der Veränderung der Welt teil. An der Ordnung der Dinge. Auf welcher Ebene, an welchem Ort auch immer. Es gibt kein Wesen, das nicht in seiner Bewegung oder seinen täglichen Aktivitäten – um nicht zu sagen, an der Veränderung, das ist zu konnotiert – aber an der Evolution der Welt teilnimmt, an der Bewegung, der Bewegung der Welt.“ (Issa Samb)

VII: DER WEISSE STEIN

Wahrscheinlich begann meine Reise sogar noch viel früher, in meiner Kindheit, in der Zeit, in der man eine Muschel oder einen Stein findet und aus unbekannten Gründen ein Gespräch mit ihnen beginnt. Sie haben keinen Wert, gehören nicht in eine beginnende systematische Muschelsammlung, können nicht getauscht werden. Sie sind einfach nur besondere Dinge.

In vielen Wohnungen auf der ganzen Welt liegen Muscheln, Steine oder seltsam geformte Wurzeln – oft neben kleinen Kunstgegenständen oder Erinnerungsstücken, an die sich kaum noch jemand erinnert. Meine beiden Großelternhäuser hatten solche Fensterbänke voll „wertloser“ Objekte. In diesen Haushalten lagen sie neben Tellern, Büchern, Noten, Telefonen, Betten und vielem anderen Dingen, die von Menschen fabriziert, gegen Geld eingetauscht und nutzbar sind. Warum legt man sich die Exoskelette toter Tiere oder einen Feldstein in die Wohnung? Meine Großmutter hatte sogar einen gebleichten Ziegenunterkiefer dort liegen…und einen sehr runden weißen Stein, den ich nach ihrem Tod in meine Manteltasche steckte. Er wurde das siebte meiner Objekte. Auf dem Bild mit der Vitrine ist er nicht zu sehen, aber ich bin mir sicher, dass er sich nur versteckt hat.

In China gibt es kleine Steine auf geschnitzten Sockeln, die „Gelehrtensteine“  (Qishi oder Gongshi[30]) heißen und im früheren China Kontemplationsgegenstände waren. Man sammelte sie nach für mich unverständlichen Kategorien.[31] Ich dachte, es handele sich um Objekte, die Stellvertreterfunktion hatten – Symbole der Welt im Kleinen.

Dann malte ich einen dieser Steine nach einem Foto. Das Bild war gut, aber den Stein von außen zu malen war nicht genug. Er besaß ein Inneres. Früher hatte ich versucht, das Innere zwischen Menschen zu malen, indem ich Darsteller bat, es zu mimen. Aber wie hätte ich einen Stein dazu bringen können, für mich zu mimen?

Das Wertvolle dieser unbearbeiteten Steine, für die schon in der Tang-Dynastie[32] gegen Gemälde, Pferde oder Gold getauscht wurden, bestand in etwas anderem. Für die Chinesen enthielten sie Qi und brachten den Betrachter zu Shen You[33], einer Reise des Geistes. Ein kleiner Stein konnte die ganze Welt enthalten – und gemäß einer chinesischen Idee der Weltgegenden nicht nur Süd, Nord, West und Ost, sondern auch Innen[34].

Ich hörte von zwei Legenden. Steine seien die Knochen, Flüsse die Adern, die Erde das Fleisch. Diese Vorstellung geht sehr weit zurück und ist mir wieder begegnet, als ich mich mit ähnlich „aufgeladenen“ Steinen aus Papua Neu Guinea beschäftigte – auch sie galten als „die Knochen der Ahnen[35].

Nach der zweiten Legende gibt es im Inneren, im Zentrum der Berge, eine Höhle, in der aus einem Stalaktiten die Milch der Zufriedenheit fließt. Wenn man lernt, die Musik zu hören, die der Wind auf den Höhlungen der Berge spielt, findet man vielleicht den richtigen Eingang.

Chuang Tzu

Im Sommer 2011 bereitete ich eine Ausstellung bei neugerriemschneider in Berlin vor und merkte, dass ich mich noch einmal mit meinem ersten Objekt, der Milchorange, beschäftigen musste. Ich kannte es ja nur aus dem Internet und hatte es zu einer mumifizierten Entität gemacht.[36] Bei allen anderen war ich in das Land gefahren, aus dem sie gekommen waren. Hier suchte ich nun im Internet nach Informationen.

Gutachten: Milchorange

Der „Hedge Apple“, auch „Osage-Orange“ nach seiner Herkunft aus Osage County in Oklahoma benannt, ist die Frucht eines Baums, aus dessen Holz die besten Jagdbögen der Welt gebaut werden. Sie werden auch verwendet, um Hecken für die Herden anzupflanzen, daher der Name „Hedge Apple“. Das Holz ist sehr widerstandsfähig, verrottet nur langsam und brennt sehr schön im Kamin, wobei es Funken sprüht. Die Frucht ist ungenießbar, sogar für Tiere. Man vermutet, ausgestorbene Riesenfaultiere hätten sie gern gegessen.

In Osage County wohnen die Osage-Indianer, die von ihrem ursprünglichen Land vertrieben wurden und einen Vertrag über ihr neues Land bekamen. Als dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts dort Öl gefunden wurde, wurden sie so reich, dass Weiße versuchten, in Indianerfamilien einzuheiraten. So war es möglich, dass der „Halfblood“-Osage-Indianer John Joseph Mathews (1894–1979) in Oxford studieren konnte. Er wurde Schriftsteller, und nach einiger Zeit in Europa kehrte er in seine Heimat zurück und lebte dort in einem einsamen Steinhaus, das er selbst gebaut hatte, glücklich mit der Jagd und dem Leben in der Natur. Davon berichtet sein Buch Talking with the Moon (1945): In genauen Beobachtungen der Tiere und Pflanzen verfolgt er den Ablauf eines Jahres in den Eichenwäldern von Osage County und beschreibt die perfekte Balance des Ökosystems um ihn herum.

John Joseph Mathews, Talking with the Moon

In meinem „Kaminzimmer“ baute ich Mathews Haus neu, aus Steinen, die ich selbst malte. Es basiert auf einem historischen Foto, das John Joseph Mathews an seinem Kamin zeigt.  Auf dem Kaminsims hatte er eine lateinische Inschrift angebracht:

VENARI LAVARI LUDERE RIDERE OCCAST VIVERE[37]

Mein Kaminzimmer ist kein wirkliches Haus, es ist nur ein dreidimensionales Gemälde; und es enthält auch kein echtes Feuer. Aber man kann sich dort in einen Stuhl setzen, der auch ein Gemälde ist, aber real genug, um darauf zu sitzen, und vielleicht damit beginnen, sich als „Objekt unter Objekten“ zu fühlen, Teil der „Gemeinschaft der Dinge“ zu sein, von der Marcus Steinweg schreibt.

Marcus Steinweg, Was ist ein Objekt?

Man kann auch hinaustreten, in den Wald oder in die Stadt, und nicht nur neben, sondern mit dem anderen existieren; es nicht nur handhaben, sondern sich so damit in Verbindung setzen, als sei alles, selbst „das kleinste zerbrechliche Objekt aus China“, von demselben Leben erfüllt, das unveräußerlich ist.

Den Stuhl habe ich im Hühnerstall meines Hauses auf dem Land gefunden. Es liegt zwischen vier Seen im Havelland, in Himmelsfort. Freislers Ei liegt dort im Boden vergraben, bis die Ausstellung zu Ende ist. Das Grundstück ist groß und verwildert, und die Nachbarn klagen schon über all das Unkraut, das unter ihren Zaun durchkriecht.

Anstelle der „Entität“, die von einem Double vertreten wurde – einer Zitrone, die sich unbeachtet in meinem Atelier selbst mumifiziert hatte – tritt nun eine lebende Frucht.

„Morphologisch betrachtet besteht die ‚Frucht‘ aus vielen miteinander verwachsenen Steinfrüchten, die ein sogenanntes Synkarp, eine Sammelfrucht, bilden.”

Gutachten Hedgeapple

In der Ausstellung in Graz werde ich dieser Frucht, die ich nur virtuell kenne, zum ersten Mal begegnen, denn sie wächst im Botanischen Garten in Graz und ist im Oktober reif.

 

[1]Siehe die schöne Analyse des „Zeitalters der Ähnlichkeit“ von Michel Foucault in: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Les mots et les choses). Aus dem Französischen von Ulrich Köppen, Frankfurt am Main.

[2]Der Wächter im Polka-Dot-Hemd wird von Gerry Bibby dargestellt.

[3]Dubai-Düsseldorf, kuratiert von Ingo Niermann und Markus Miessen, Kunstverein Düsseldorf, 2009. Für diese Ausstellung entwickelte eine lose Gruppe (zwei Architekten, ein Grafikdesigner, eine Filmemacherin, eine Modedesignerin, ein Schriftsteller und ich) verschiedene Konzepte für einen zukünftigen Stadtstaat Dubai-Düsseldorf, mit eigener Flagge, Währung, Seniorenversorgung etc. Ich war dafür zuständig, die Kunst der Zukunft zu entwerfen.

[4]Dargestellt von Yusuf Etiman, dem Initiator des oben genannten basso.

[5]Wissenschaftlich gesehen ist sie keine Muschel, sondern eine Schnecke. Siehe Gutachten.

[6] Während der Mami Wata-Kult von westafrikanischen Sklaven in Surinam geformt und nach Westafrika reimportiert wurde, geht ein sehr populäres Bild von ihr auf eine Chromolithografie einer „samoanischen Schlangenbändigerin“ zurück, die ca. 1887 nach Nigeria gebracht worden war. Eigentlich war diese „Samoanerin“, die zu einer südamerikanisch/westafrikanischen Gottheit wurde, eine Französin, die im Pariser Vaudeville auftrat, eine Schlange um die nackten Brüste dekoriert.

[7]Leonore Mau, Hubert Fichte: Petersilie. Frankfurt a. M. 1987.

[8]Pierre Vergé, ein französischer Ethnograf und Fotograf, lebte in Brasilien und erforschte nicht nur das Cadomblé, sondern ließ sich selbst zum Orakelpriester (Babalawo) initiieren, wobei er den Namen Fátúmbí annahm. Hubert Fichte beschrieb in Explosion seinen Versuch, von Vergé Geheimnisse zu erfahren, und seine Enttäuschung, als er feststellen musste, dass „der Papst“ ihn die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hatte. (Explosion, Roman der Ethnologie, Frankfurt a. M. 2006).

[9] Im Senegal beschäftigten sich Mau und Fichte mit der Psychiatrie und den traditionellen Heilmethoden (Leonore Mau, Hubert Fichte, Psyche. Annäherung an die Geisteskranken in Afrika, hrsg. von Ronald Kay, Frankfurt a.M. 2005). Dort beschreiben sie auch das Trance-Ritual der Lebou, N’Doep, mit dem psychisch Kranke geheilt werden. Das N’Doep funktioniert über die Einbeziehung des ganzen Dorfes, das ein mehrtägiges Fest veranstaltet und so den Kranken wieder in die Gemeinschaft zurückführt. Die Geisteskrankheit wird als eine Unterbrechung der Bindungen gesehen: Jemand wird fremd in seiner eigenen Familie, seinem Dorf. Um geheilt zu werden, muss wieder die Krankheit gewaltsam unterbrochen werden – der Kranke beispielsweise unter Tüchern neben einem Opfertier liegen, in das die Rab (Ahnengeister) steigen, und das seine Krankheit aufnimmt. Es ist wichtig, dass er die letzten Zuckungen des Tieres Seite an Seite mit ihm erlebt. Die Krankheit, die eine Disruption ist, wird wieder disruptiert, aber begleitet von der Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Gemeinschaft. Als die westliche Form der Psychiatrie in Fann eingeführt wurde, verlangten die Angehörigen nach Elektroschocks für die Kranken, die die Stelle der Trance einnahmen. Issa Samb und El Hadji Sy haben sich beide für die Versuche in der Psychiatrie von Fann interessiert, die Fichte und Mau dokumentiert haben (siehe: Deliss). Das Nachdenken über diese Methoden – eine Heilung durch starke symbolische Bilder, verbunden mit der Anteilnahme einer Gemeinschaft –  verbindet sich für mich im „panischen Theater“ und den psychomagischen Akten von Alejandro Jodorowsky, auf die ich im Kapitel „Die Teekannen-Hand“ zu sprechen komme.

[10]Hubert Fichte: Forschungsbericht, Frankfurt a.M. 1989/2005.

[11]Eyland, mit Juliane Solmsdorf, Galerie Töplitz, D, 2010.

[12]Rave is Over, Exile, Berlin.

[13]Auch in Europa hielt man Meteoriten lange für Unglücksboten, Zeichen Gottes.

[14]Im Hotel Istria wohnten außerdem Francis Picabia, Moise Kisling, Man Ray, Kiki de Montparnasse, Erik Satie, Rainer Maria Rilke, Tristan Tzara, Vladimir Majakowski. Yves Klein wohnte in Nr. 14; Eugene Atget in Nr. 17 b; Aragon in einem Atelier bei der Nr. 17; Man Ray und Pierre Restany in Nr. 31b. Auch Eugene Atget hatte dort gewohnt.

[15]“Ne s’étaint que ce qui brilla… /Lorsque tu descendais de L’hôtel Istria/ Tout était différent Rue Campagne Premíère,/en mil neuf cent vingt neuf, vers l’heure de midi…”

Louis Aragon, Il ne m’est Paris que d’Elsa.

[16]Łukasz Ronduda: Anormale Wirkungsweisen. Die Kunst Paweł Freislers in den 1960er und 1970er Jahren. Springerin 1/09.

[17]Wahrscheinlich auch durch die Rue Campagne Première.

[18] www.splace.de

[19]Das Foto von Dem Ei (Kopie Nr.1) im Fernsehturm zeigt ausdrücklich nicht Das Ei, sondern nur seine Kopie. Freisler hatte mir geschrieben, dass ich die Verantwortung dafür trüge, wie Das Ei fotografiert werden sollte. Diese Verantwortung übertrug ich dem Kunsthaus Graz, wo es ausgestellt wird. Dem Fotografen Nicolas Lackner gelang es mit Hilfe eines Zelts, das Ei “mit seinen eigenen Charakteristiken” zu fotografieren.

[20] Jodorowsky hat mit Mimen gearbeitet, das „panische Theater“ entwickelt, Filme wie El Topo und Montaña Sacra gedreht, Comics und Bücher geschrieben; das Tarot-Lesen sieht er als Kunst. Für jemanden, der sein Leben lang mit symbolischen Bildern und Handlungen gearbeitet hatte, sind die Bilder des Tarots eine Möglichkeit, zwischen dem Lesenden und dem Ratsuchenden einen Raum entstehen zu lassen, in dem die Bilder sprechen. Er sagt keine Zukunft voraus, sondern versucht, den Ratsuchenden darauf zu bringen, was er selbst sich vorstellt oder was ihm fehlt. Wenn er einen Rat gibt, dann besteht dieser oft wie seine psychomagischen Akte in einer Handlungsanweisung, die ein starkes symbolisches Bild erzeugt („Onaniere auf das Bild deiner Mutter“, „Lege dir zwei Goldmünzen in den Schuh und gehe damit einen Tag lang herum.“) und gleichzeitig disruptiv ist. Jodorowsky ist vom Surrealismus beeinflusst und hat sehr jung in Chile Ähnliches wie die Situationisten ausprobiert: in der Stadt selbst Szenarien zu erzeugen, oder eigenen Regeln zu folgen („Gehe in ein anderes Stadtviertel und kehre erst wieder um, wenn eine alte Dame dir Tee gekocht hat“).

[21]Jodorowsky hat lange mit Mimen gearbeitet, unter anderem für Marcel Marceau. Seine Idee des „Panischen Theaters“ ließ auf der Bühne vorbereitete Bilder entstehen, die aber dennoch gleichzeitig den Akteur Reales durchleben ließen und auch auf die Zuschauer übergriffen. Eine Imitation ist also nicht getrennt von transformativen Erlebnissen.

[22] Cristobal Jodorowsky.

[23] Meine E-Mail-Adresse beginnt mit oskar – Jodorowsky erinnerte sich offensichtlich nicht mehr an meinen Besuch, aber es kam nicht darauf an, ob nun ein Mann oder eine Frau aufstand oder wer ihn um die Goldbarren gebeten hatte.

[24]Buddhistische Skulpturen verfügen über sehr viele verschiedene „Mudras“, Handstellungen, die jeweils eine symbolische Bedeutung haben. Guan Yin: siehe Kapitel über die Buddha-Hand.

[25]Qi: 氣, 气 Zentraler Begriff des Daoismus. Energie, Atem, Luft, Lebenskraft.

[26]Tatsächlich war das Modell Hartmut Solmsdorf, der Vater von Juliane Solmsdorf. Er ist Landschaftsarchitekt.

[27]Guan Yin: 观音. Dieser Bodhisattva des Mitleids stammt eigentlich aus Indien und heisst dort Avalokiteshvara. Er kann viele Formen annehmen, sich weiblich oder männlich verkörpern. In der Figur der Guan Yin verschmelzen buddhistische und ältere Vorstellungen, so wie das auch bei europäischen Heiligen der Fall war. Guan Yin verschmolz vor allem mit Xīwángmǔ (西王母), der Königinmutter des Westens (Daoismus).

[28]Die Tracht ist rumänisch, nicht chinesisch. Miao Shan wird von der rumänischen Künstlerin Marieta Chirulescu dargestellt.

[29]Delia Gonzalez: Presseerklärung zu „In Rememberance“, Galleria Fonti, Neapel 2010.

[30] 供石Shi – Stein; Gong – Geist; Qi – Lebenskraft.

[31]Nach Herkunft, Steinart und anderen Kriterien, aber auch nach den Kategorien Dünnheit (shòu), Schönheit (tǒu), Durchlöcherung (lòu) und Runzeln, Falten (zhòu).

[32] 618–907 n. Chr.

[33]Shen You: 神遊Reise des Geistes; auch: Qi Qi, auf den Dämpfen/in derLuft reisen.

[34]Holz/Osten, Feuer/Süden, Metall/Westen, Wasser/Norden, Erde/Zentrum. Es gibt aber auch Systeme mit 12, 24 oder 48 Himmelsrichtungen…

[35]Qi heisst dort Mana. Die Steine aus Papua Neu Guinea sind teils natürliche Steine, teils Steinartefakte einer unbekannten steinzeitlichen Kultur. Westliche Forscher teilen diese beiden Sorten auf: Nur die bearbeiteten Steine gelangen ins Museum, und man diskutiert ausführlich ihren möglichen früheren Gebrauch als Werkzeuge. Unter diesen sind wieder die am wertvollsten, die Tieren oder Menschen ähneln, also nicht ein Mörser waren. Dabei steht es in keiner Weise fest, ob die nicht figürlichen Dinge jemals zum Gebrauch bestimmt waren. Der Versicherungswert schwankt hier enorm. Die Menschen aus Papua Neu Guinea dagegen teilen die Fundsteine und Steinartefakte nur nach ihrem magischen Gebrauch ein –  einige dienen einem Fruchtbarkeitszauber, andere (weniger wertvolle) vielleicht auch böser Zauberei. Sie wunderten sich sehr darüber, dass sich die Forscher in keiner Weise für einige ihrer stärksten Steine interessierten, die eben aus westlicher Sicht nur Naturfunde waren.

[36]antje majewski: the guardian of all things that are the case, amongst others: a clay teapot in the form of a human hand, a shell, a pot made of fragrant wood, contains one black ball or two glass eyes, a buddha’s hand citron, a hedge apple, also called osage orange, neugerriemschneider, Berlin 2011.

[37] Zu jagen, zu baden, zu spielen, zu lachen, das heißt zu leben.

[Jörg Eipp1]EH Johann hatte keine politische Funktion in der Steiermark, deswegen ist es vielleicht besser von “Bevölkerung” zu sprechen, denn die Steirer/innen waren nicht seine Untertanen. Er hat das Joanneum als vermögende Privatperson gestiftet.

[Jörg Eipp2]?

[Unbekannt4]AM, The Guardian of all Things that are the case

[Unbekannt5]AM, The Guardian …, Gem舁de. Foto: Jens Ziehe

[Unbekannt6]Objekt: Hedgeapple

 

 

[Unbekannt7]AM: Entity. Mehrere Abbildungen.

[Unbekannt8]Noffice, Kunsthalle Düsseldorf, Dubai; Pilgerzentrum; Schrein.(genaue Titel suchen)

[Unbekannt9]Objekt: Muschel

[Unbekannt10]Die Muschel. Gespräch zwischen Issa Samb und Antje Majewski, Dakar 2010. Filmstills

[Unbekannt11]Der Stein, die Kugel, die Augen. Gespräch zwischen El Hadji Sy und Antje Majewski, Dakar

2010, Filmstills

[Unbekannt13]Marcel Duchamp, Porte simple au lieu de deux portes, Paris, 1927,

[Unbekannt14]Leonore Mau, Ein Andenkenhändler aus Boca Chica hat für die Touristen ein Zauberschiff konstruiert, aus: Petersilie,

[Unbekannt15]Leonore Mau, Fata Morgana

[Unbekannt16]Antje Majewski, Mame N’Diaré

[Unbekannt17]Duchamp, Etant donnés…

[Unbekannt18]Marcel Duchamp, Coin de Chastete. Hier m�sen wir das Bild aus Schwerin verwenden. Kann ich das bitte sehen? Vielleicht kann man es so drehen wie meins?

[Unbekannt19]Abbildungen: AM&Juliane Solmsdorf, Juliane Solmsdorf formt ihr Knie ab, 2010

[Unbekannt20]Juliane Solmsdorf, Knie

[Unbekannt21]Juliane Solmsdorf, Brunnen.

[Unbekannt22]Mathilde Rosier, Regal mit Schuhen und Muscheln.

[Unbekannt23]Mathilde Rosier, sea shell video still

[Unbekannt24]AMY: The true ritual is simply, in essence, a challenge.

It is a challenge to logic. Its power comes from its spectacular absurdity.

It rigorously controls the incoherent arms of the dream in order to break the overly close relationship to the visible. When a society becomes utilitarian, this ritual is eradicated.

The ritual mask hides the face which is also the everyday mask. It freeds from the appearance revealing to oneself a deeper identity.

[Unbekannt25]Objekt: Meteorit

 

[Unbekannt26]AM, Meteoarises

[Unbekannt27]Juliane Solmsdorf, A Rise is a Rise

[Unbekannt28]El Hadji Sy, Lingot d’or, Jahr unbekannt

[Unbekannt30]Der Eiserne Ochse, Foto: Shuxian Xu

[Unbekannt31]Tal der Orangen, Foto: Shuxian Xu

[Unbekannt32]Antje Majewski auf Yang, Foto: Shuxian Xu

[Unbekannt33]Tempel f� den Gott der Erde, Foto: Shuxian Xu

[Unbekannt34]Objekt: Dose mit Kugel (Foto: das mit dem Deckel nach oben); Auge

[Unbekannt35]AM Gem舁de: The Pot made out of fragrant….

[Unbekannt36]Komorowski/France Fiction: Invitation Séminaire à la campagne

[Unbekannt37]AM, One black ball and two glass eyes, Analog-Prints, 2010

 

Bitte alle 8 motive, wenn es geht! Sonst den Jungen mit der Angel weglassen…

[Unbekannt38]Atelierwohnung von Edward Krasinski, Warschau. Fotos: AM

Hier knt ihr aussuchen!

[Unbekannt39]Edward Krasinski, Ball in Zalesie (Fotos aus der Generali Foundation)

[Unbekannt41]Foto Pawel Freisler, Herstellung des Eis in Elblag?

[Unbekannt42]AM&Agniezska Polska, Freisler-Invititation

[Unbekannt43]AM Fotos Freisler / Splace

: je nachdem, wie viel Platz ist, 2 wäre schön

[Unbekannt44]Agniesza Polska, Ogrod, Film stills

[Unbekannt45]Pawel Freisler

Foto: Magdalena Wittman-Freisler, 2010

Pawel Freisler

Foto: Magdalena Wittman-Freisler, 2010

(Foto auf dem er sich hinter einem Deckel versteckt)

[Unbekannt46]Łukasz Ronduda als „Der Professor“, Foto: Piotr Życieński, 2009

[Unbekannt48]Abbildung der Original-Fotokopie des Buches von Ronduda

[Unbekannt49]Abbildung: Starling /Superflex Super Egg in der Hand der Kuratorin

[Unbekannt50]Freisler’s Standard Ei (Kopie Nr.1) unter dem Tisch im rotierenden Restaurant des Fernsehturms, Berlin

Foto: AM

[Unbekannt51]Objekt: Teekannen-Hand

[Unbekannt52]Fotos AM Tarotlesung Jodo

[Unbekannt53]Jodorowsky Post-Its

[Unbekannt54]Amy, English translation is there

[Unbekannt55]AM, Die Hand, die gibt. Gespräch mit Jodorowsky Filmstills

[Unbekannt56]AMY It says something to me, that little hand. It’s a generous hand. (….) T

he whole world can pass through an open hand.  So that hand, which as a teapot is half-open, it’s the hand that gives. And what I give, I give it to myself. To receive the world is to give to the world.

[Unbekannt57]Cristobal Jodorowsky, Goldbarren

[Unbekannt58]Überreichung der Goldbarren von Jodorowsky an Antje, KW Berlin, 11.5.2011 Fotografie: Oliver Helbig

[Unbekannt59]China Film Filmstill

[Unbekannt60]AM: Gemälde

the gardener of mechanical objects

[Unbekannt61]Objekt: Buddha-Hand

[Unbekannt62]AM Filmstill China

[Unbekannt63]AM China Filmstill

[Unbekannt64]Antje Majewski und Shuxian Xu, Lotusblume

[Unbekannt65]AM, Miao Shan (Gemälde)

[Unbekannt66]AM Filmstill “Prozession“

[Unbekannt67]China Film still oder Foto Buddha hand zitrone

[Unbekannt68]Thomas Bayrle, Madonna

[Unbekannt69]Dirk Peuker, Vase und Pagode

[Unbekannt70]Delia Gonzalez, Zeichnung

[Unbekannt71]Gonzalez&Russom, Elegguá

Vorsicht, dies ist die richtige Schreibweise!

[Unbekannt72]Neal Tait, Ohne Titel

[Unbekannt73]Tuscheblock

[Unbekannt74]Armband aus Früchten

[Unbekannt75]Fotos Feng Shui Meister

[Unbekannt76]Helke Bayrle, Algen ball

[Unbekannt77]Objekt: der weisse Stein

[Unbekannt78]Amy: Scholar’s rocks or viewing stones

[Unbekannt79]AM, Venari lavari ludere ridere occast vivere (mehre Fotos)

[Unbekannt80]Foto Mathews am Kamin; foto Mathews mit Hut