Im Hof von Issa Samb, im Zentrum von Dakar. In der Mitte steht ein enormer Baum, von dem Fäden über den ganzen Hof zu den umliegenden Gebäuden gesponnen sind. Die Fäden kreuzen und verknüpfen sich, und Hunderte von Objekten hängen daran: Kleider, alte Fotos, Puppen und die verschiedensten verknoteten Dinge. Außerdem stehen Skulpturen oder Assemblagen in den Ecken. Alles ist mit Staub bedeckt. In den offenen Gängen der Gebäude, die den Hof umschließen, befinden sich Reste von Theaterdekorationen, Bilder und andere Überreste der Aktivitäten der Gruppe „Laboratoire Agit Art“.

Issa Samb fegt sehr langsam den Hof und bildet Haufen aus den großen Blättern, die die ganze Zeit über langsam niedersegeln. Ich sitze mit Abdou Bâ auf den alten Sesseln unter dem Baum. Fast jeden Tag kommen hier Freunde vorbei und bleiben oft stundenlang sitzen, um mit Issa Samb zu sprechen. Abdou Bâ ist ein langjähriger Freund von Issa Samb, der ihm unentgeltlich als Assistent hilft.

Schließlich stellt Issa Samb den Besen beiseite und setzt sich zu uns.

 

A: Gut. Hat Abdou erzählt, warum ich hierhergekommen bin?

I: Ja, erzählen Sie – ich höre Ihnen zu.

A: Ich bin gekommen, weil ich Objekte besitze, die ich an verschiedenen Orten gefunden habe.

I: Ja.

A: Da gibt es Objekte, die ich in China gefunden habe.

I: Ja.

A: Ein Objekt kommt aus Paris, stammt aber aus Marokko. Es sind alles Gegenstände, die mit der Natur zu tun haben. Entweder sind sie natürlich oder sie imitieren Natur. Ich habe das Gefühl, dass es in diesen Objekten so etwas wie eine Kraft gibt – eine gewisse Art von Magie, die ich nicht verstehe, die ich nicht lesen kann. Ich bin sehr glücklich, dass Clementine mich hierher gebracht hat, weil ich eurer Unterhaltung neulich zugehört habe. Sie sagten, dass es einen Sinn in den Objekten gibt, den man einknoten kann, und auch wieder –

I: Entknoten –

A: Die Knoten wieder öffnen. Und das ist meine Frage. Befindet sich in meinen Objekten bereits etwas, das ich nicht verstehe? Ist es für jemand anderen, wie zum Beispiel Sie, möglich, das zu verstehen – oder ist es etwas, das uns vollkommen unbekannt bleibt? Und ist es wirklich nur etwas, das wir hineininterpretieren, das von unserer Interpretation des kulturellen Kontextes abhängt – oder gibt es in den Objekten etwas, das vollkommen anders ist als wir?

I: Auf jeden Fall kann man sagen: Sobald Sie sich eines Objekts bemächtigen, sobald Ihnen ein Objekt zugekommen ist oder Sie selbst sich durch irgendein Fluidum zu einem Objekt hingezogen fühlen, und Sie das Gefühl haben, dass es das Objekt selbst ist, das Sie anzieht –

A: Ja, genau.

I: Ja, sodass Sie zu ihm hingehen, es ergreifen – dann ist das bereits ein Wort.

Dann ist das bereits ein Wort.

Ist es nun notwendig zu wissen, ob es Sie selbst sind, die einen Blick auf das Objekt haben – etwas in Ihrem Inneren – eine gewisse Innerlichkeit, die Sie zum Objekt drängt – oder ob es das Objekt selbst ist, das eine ihm eigene Energie enthält, etwas, das nach Ihnen ruft?

A: Ja, das ist die Frage.

I: Oder ist es so, dass das Objekt eine eigene Energie enthält, seine eigene, die in Bezug steht zu derselben Energie, die auch in Ihnen ist, die auch außerhalb von Ihnen tätig ist – außerhalb sowohl von Ihnen selbst als auch vom Objekt –

A: Ja!

I: All das ist möglich. Es ist eine Frage.

Es gibt immer mehrere Möglichkeiten der Annäherung in Bezug auf ein Objekt, das sich in unserem Besitz befindet. Immer. Sobald sich das Objekt in unserem Besitz befindet, werden wir uns auf eindeutige Weise bewusst, dass es eine Beziehung gibt zwischen diesem Objekt und uns selbst. Sobald wir wissen wollen, was für eine Beziehung das ist, fangen wir an, uns über uns selbst zu befragen, und über die Anziehung, die jedenfalls auf unser eigenes Inneres ausgeübt wird – die uns zum Objekt hingezogen hat. Oder über die Beziehung, die zwischen uns selbst, dem Objekt und den Händen bestehen könnte, aus denen dieses Objekt kommt.

A: Den Händen?

I: Den Händen. Stellen wir uns zum Beispiel vor, das Objekt sei ein Geschenk.

A: Einverstanden.

I: Stellen wir uns vor, es sei ein Geschenk. Das ist eine Hand. Du übergibst das Geschenk in eine Hand.

A: Ja.

I: Das Geschenk nimmt einen Sinn an, hat Sinn.

A: Ja.

I: Aber ist es nun das, von dem wir denken, dass das Objekt es sagt, das uns hilft, eine Beziehung herzustellen – oder ist es der Sinn, den wir selbst dem Objekt geben, der dem Objekt einen Sinn gibt – oder befindet sich der Sinn des Objekts in den Händen desjenigen, der es gewählt und in unsere Hände gegeben hat.

A: Ja.

I: Das ist die Frage, die sich auf diesen drei Achsen bewegen kann. In einer solchen Situation schreibe ich mich sofort ein in die Suche, in eine Recherche nach dem Wort des Objekts durch und für es selbst. Nach dem, was das Objekt sagt. Sagt. Was das Objekt sagt.

Wenn das hier zum Beispiel ein Objekt ist, das aus China zu uns gekommen ist, wie Sie sagen – selbst wenn wir eine Vorstellung davon, einen Blick auf das Objekt hätten, dann ist es trotzdem notwendig, um unseren eigenen Blick auf das Objekt besser zu verstehen, dass man die Bedeutung des Objekts in Bezug auf den Ort seiner Herkunft tiefer ergründet, da es ein kulturelles, sozialisiertes Objekt ist.

A: Deshalb wollte ich auch nicht mit afrikanischen Objekten hierher kommen. Ich habe kein einziges afrikanisches Objekt. Denn das, was mich letztlich interessiert, ist die Frage, ob es eine Bedeutung oder einen Sinn außerhalb des Kulturellen gibt. Denn die Dinge, die ich in China gekauft habe, verstehe ich als Europäerin von Anfang an nicht und werde sie nie in ihrem kulturellen Kontext verstehen. Selbst wenn die Person, die mir die Objekte verkauft hat, sie mir erklärt, werde ich nicht wirklich verstehen, was sie sagen. Weil ich in dieser Kultur nicht gelebt habe. Nein – deshalb fehlen den Wörtern alle feineren und weiteren Bezüge.

I: Das ist nicht das Wesentliche, sondern einfach nur ein Teil des Wesentlichen. Was zu Beginn dieser ganzen Durchquerung wichtig sein wird, das ist der Sinn, die Existenz, der Nutzen, den Sie selbst nun diesem Objekt geben werden. Wenn Sie ihm einen Sinn geben werden, vielleicht einen neuen Sinn, ist es nicht ausgeschlossen, dass Sie sich der kulturellen Bedeutung bewusst sein werden, die das Volk oder das Individuum, oder die Kultur, die es hervorgebracht hat, ihm als soziale Funktion gegeben hat. Nehmen wir an, es seien Zinnsoldaten oder Buddhas – es gibt eine ganze kulturelle Polysemie, eine ganze Möglichkeit, die Ihnen angeboten wird. In jedem Fall ist es heute sehr, sehr wichtig, in Bezug auf die Objekte und ihre Zirkulation, für das Verständnis der Völker und der Kulturen, dass jedes Objekt, das aus einem Land importiert wurde, um es in ein anderes Land, in eine Hand, in einen Sektor, auf einen Boden, dann auf einen anderen Boden zu bringen, dass es als durch eine ganze Geschichte Aufgeladenes betrachtet wird. Die Geschichte des Individuums, das das Objekt hergestellt hat – wenn es ein fabriziertes Objekt ist – oder die Geschichte der Völker, oder der Naturen des Landes oder des Raums, aus dem dieses Objekt zu uns gekommen ist, falls es nicht in seiner Herstellung die Hand des Menschen kennengelernt hat.

Jeder Meteorit sagt etwas. Er sagt etwas über die Natur und über die ganze Geschichte der Natur. Jeder. Jedes Blatt, das in diesen Garten hier fällt, das aus der Situation eines Objekts, das man natürlicherweise ein Blatt nennt, zu einem Objekt wird, das sich von hier nach da bewegt, nimmt in diesem Garten eine Position ein, die an der Definition des Gesamten hier teilnehmen wird.

A: Ja.

I: Und über dies hier hinaus an der Halbinsel von Dakar, und darüber hinaus am Kontinent, und über den Kontinent hinaus an der ganzen Welt. Es ist nicht eine Frage der Interaktivität, es ist nicht einmal eine Frage der Interferenz, es eine Frage nach der Beziehung des Lebendigen zueinander.

A: Ja.

I: Des Lebendigen, das heute auf unerklärliche Art miteinander verbunden ist. Und ich glaube, dass die Objekte einfach kommen, um den Menschen und den Anderen zu helfen, besser zu verstehen. Besser zu verstehen. Ihr Objekt, woher es auch kommt, dieses Objekt aus China trägt ganz China in sich. Selbst das unscheinbarste Objekt trägt ganz China in sich. Also besitzen Sie in Ihren Händen alle möglichen und vorstellbaren Wege der Kenntnis von China und darüber hinaus… Jetzt können Sie in die Details gehen.

A: Ich habe noch zwei Fragen. Sie sagen, dass ein Blatt, das hier fällt, die Beziehungen nicht nur innerhalb dieses Hofs verändert, sondern letztendlich die der ganzen Welt.

I: Selbstverständlich.

A: Ich habe bemerkt, dass jedes Mal, wenn ich hierher komme, die Gegenstände ihren Ort gewechselt haben. Und manchmal hat das gesamte Ensemble für mich wirklich seinen Sinn verändert. Zum Beispiel in dieser Ecke dort –

I: Ja –

A: Da gab es am ersten Tag eine Skulptur mit einem Kopf mit – wie heißt das?

Abdou: Mit Nägeln.

A: Mit Nägeln. Und das wurde dann zur Skulptur eines Menschen. Am nächsten Tag war der Kopf verschwunden und es war etwas anderes.

I: Ja.

A: Eines Tages lag eine Skulptur auf der Erde, und es war wie ein Begräbnis. Und am nächsten Tag stand sie aufrecht. Also frage ich mich: Wenn Sie die Ordnung hier in diesem Hof verändern – was verändert das in der Welt?

I: Das ist ein natürlicher kreativer Prozess. Jeden Tag tue ich… Jedes Mal, wenn ein Mensch ein Objekt von einem Ort an einen anderen bewegt, nimmt er an der Veränderung der Welt teil. An der Ordnung. Auf welcher Ebene, an welchem Ort auch immer. Es gibt kein Wesen, das nicht in seiner Bewegung, oder seinen täglichen Aktivitäten – um nicht zu sagen, an der Veränderung, das ist zu konnotiert – aber an der Evolution der Welt teilnimmt, an der Bewegung, der Bewegung der Welt.

A: Ja.

I: Denn in Wahrheit könnten die, die denken, dass alles sich immer um dieselbe Achse dreht, manchmal die Theorie über diese Frage korrigieren, denn alles dreht sich die ganze Zeit um dieselbe Achse. Die Welt hatte einen Anfang und hat sich entwickelt, und die Menschen müssen an ihrem Gang teilnehmen und sie voranbringen bis an ihr Ende. Und wenn ein Blatt im Frühjahr fällt, zeigt es nicht nur die Jahreszeiten an. Wenn wir den Kopf dieser Skulptur dort versetzen, dann hat sich hier auf dem Hof ein Ereignis abgespielt, und das, was hier an Arbeit geschehen ist, musste dem Objekt einen Kopf geben, einen Kopf mit Nägeln. Auf das andere Objekt aus Eisen mit dem Körper ganz aus Stein, einen Kopf. Einen Kopf. Dieser Zyklus, das bedeutet, eine andere Stufe zu erreichen. Indem man einer täglichen Aktivität und Schöpfung nachgeht. Der Mensch ist also Schöpfer von Natur aus. Der Künstler, das ist ein kleiner Beruf, eine bürgerliche Profession, aber der Mensch – die Schöpfung – der Künstler, das sind alle Menschen, alle menschlichen Wesen, die jeden Tag etwas tun, im alten Sinn der Entwicklung – ich bevorzuge der Entfaltung – seiner selbst, der Gemeinschaft, und darüber hinaus der ganzen Menschheit.

A: Ich habe noch eine eher persönliche Frage. Wenn ich Kunst mache, habe ich den Eindruck, dass das nicht zu hundert Prozent von mir abhängt. Ich habe eher den Eindruck, dass etwas mich durchquert, dass ich eher das Mittel bin –

I: Sie sind nicht einfach nur ein Mittler, ein Medium, Sie sind kein Durchgang, Sie sind das Mittel, durch das sich etwas Höheres ausdrückt. Sie sind vielleicht sogar ein Werkzeug.

A: Ja, so ist das.

I: Das muss man akzeptieren. Derjenige, der das akzeptiert, die Schöpfer, die das akzeptieren, haben gute Voraussetzungen, um Kunstwerke zu schaffen.

A: Ja, das stimmt. Ich habe den Eindruck, dass ich mich in diese Richtung bewege, aber man muss wirklich viel Wollen hinter sich lassen.

I: Hmhm.

A: Und hierher zu kommen war auch so eine Geschichte, die eher durch mich durchgegangen ist, als dass ich sie geschaffen habe, wenn Sie mich richtig verstehen…

I: Der Mensch muss natürlich seine Vergangenheit erschaffen, um sich in die Zukunft projizieren zu können.

A: Ja.

I: Sie erschaffen. Wie die Schlange sich häutet. Man muss sich nicht auflösen, aber man muss seine Vergangenheit erschaffen. Man muss das annehmen, wie es ist, und wenn man ein Schöpfer ist, diesen Prozess in diesem Sinn bearbeiten, denn es ist diese Transformation, in der die Zukunft geboren wird. Es ist die Metapsychose, diese Metamorphose oder diese Meta- oder vielmehr: Transmutation. Man muss die Menschen verwandeln. Vor allem diejenigen, die erschaffen, müssen das akzeptieren: Da alles durch kulturelle, sozialisierte Objekte geschieht, haben sie einen Weg gewählt; sicher einen schwierigen, komplexen Weg, aber vielleicht einen der besten Wege, denn er erlaubt das Verständnis des Anderen. Er setzt uns frei, es gibt uns eine Haltung zur Welt, die uns sagt: Ah, wir, wir sind nicht allein auf der Welt.

A: Ja.

I: Ah – ich, die ich dachte, ich sei die einzige Tochter meiner Mutter, sieh da, mir wird klar, dass mein Vater vielmehr die Mutter meines Vaters ist. Und die Objekte, das lässt viele Dinge zu…aber man braucht Respekt, und das ist das Schwierigste, vor allem aus einer okzidentalen Perspektive, das Objekt an sich zu betrachten; ihm eine andere energetische Aufladung zuzuerkennen als eine zu oberflächliche oder diejenige, die die Maschine gibt. Denn man weiß, dass es ein Unfall ist, dass man diesem Stein diese Energie, dieses Wort, diese Kraft nicht zuerkennen möchte – ohne sich einem Gott, dem einzigen Schöpfer, gegenüber zu sehen. Und selbst mit dem Tod Gottes wollen die maschinistischen oder industriellen Zivilisationen nicht so weit gehen. Denn sofort steht man wieder dem einzigen Schöpfer gegenüber. Was dich wieder in eine ganze Polysemie führt – man würde gern den Objekten einen neuen Sinn geben, verschiedene Bedeutungen, man hätte gern, dass es verschiedene Bedeutungen gibt. Das ist immer noch die Weigerung zu akzeptieren, dass es über die Bedeutung hinaus, die wir selbst uns geben, oder die Völker den kulturellen sozialisierten Objekten geben, einen Sinn gibt, den diejenigen Objekte geben, die wir selbst nicht erschaffen haben. Aber man muss den Mut haben, diese Schwelle zu überschreiten. Anzuerkennen, dass man darüber hinaus selbst das Objekt aufladen kann, das Objekt bereits in sich eine Kraft besitzt, ein Leben, das etwas bedeutet – unabhängig von unserem Willen, unseren Bedürfnissen, unseren Wünschen, unseren ästhetisierenden Sorgen, von unserem Willen, es die Richtung nehmen zu lassen, die wir ihm vorzeichnen.

Deshalb bleiben sie an ihrem Ort, wenn wir sie an ihrem Ort lassen – aber da wir das wissen, muss man ihnen nun helfen, ihren Ort zu verlassen. Wenn wir diesem Objekt da nicht helfen, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, dann kann es das nicht von selbst tun, und der allermächtigste Wind könnte es nicht vom Boden aufheben. Und das stärkste Feuer könnte es nicht verbrennen, denn selbst wenn das, was da ist, bis auf die Asche verbrennt – das bringt uns wieder zu einer Diskussion, die es immer noch zwischen Kreationisten und Materialisten gibt. Aber das sind Debatten der Arrière-Garde.

Die zeitgenössischen Künstler – diejenigen, die schon ihre Vergangenheit kennen, diejenigen, die wissen, dass sie schon so verspätet sind in Bezug auf ihre Vergangenheit und noch mehr verspätet in Bezug auf ihre Zukunft, denn sie erwarten eine Zukunft, die sie selbst erschaffen müssen – sie befinden sich in einer Situation, in der sie sich bis heute weigern, das, was das Objekt ist, auf dem einfachsten Weg zu behandeln, dem Weg seines eigenen Körpers, der Inkorporierung, der Entkörperlichung, um die Materie zu begreifen, ihre Behandlung… Wenn man das Objekt als etwas betrachtet, das der Händler Ihnen verkauft und Ihnen mit enorm vielen Worten anpreist, sozusagen, dann ist es das. Aber selbst indem er das tut, arbeitet er am Wissen – er gibt, vielleicht fabulierend, dem Objekt andere Botschaften, andere Codes, die nach denjenigen kommen, die der Schöpfer dieses Objekts ihm ursprünglich gegeben hat. Je öfter sich das Objekt von Hand zu Hand bewegt, desto weniger wird es aufgeladen sein, desto mehr entlädt es sich, als Koffer, als Objekt, das den Sinn der Geschichte in sich trägt von all den Händen, all den Völkern, von allen Blicken, von allem Raum. Nehmen wir an, dass Sie hier alle Ihre Objekte hinstellen, dann wird das hier einen Sinn annehmen, das wird an den Dingen hier teilhaben, bis ins Herz des Objekts hinein. Unausweichlich. Und wohin Sie es auch stellen werden, in Ihr Atelier, in eine Wohnung, in eine Straße, oder es irgendwo auf einem Bahnhof verlieren, dann wird das Objekt in seinem Sinn die Geschichte dieses Landes mit sich ziehen, die Geschichte der Männer dieses Landes, der Frauen dieses Landes. Eine Geschichte der Vögel, die bald auf die Reise gehen und die vielleicht vor ihm oder nach ihm dieselbe Flugbahn beschreiben. Das ist normal. – Ja.

A: Und wenn man das Objekt bewegt, dann sagen Sie, dass es diese ganze Geschichte mit sich zieht, ja?

I: Ja.

A: Andererseits verliert es nicht auch – wie soll ich sagen? Mir schien es, wenn ich das Objekt mehrere Male bewegte, aus China in meine Wohnung, von meiner Wohnung ins Atelier – ich habe sie sogar auf die Straße gebracht –

I: Ja.

A: Ich hatte sie auf der Straße vor meinem Haus, ich habe sie in Winkeln dort versteckt – und indem ich sie dann aus Deutschland hierher gebracht habe – ist das ein bisschen wie eine Waschmaschine, eine Waschmaschine, die es vom Sinn reinigt –

I: Reinigt?

A: Das Objekt reinigt, sodass es sich zum Schluss mehr und mehr vom Sinn löst, den es hatte –

I: Ursprünglich –

A: Und das hilft mir, herauszufinden, ob das Objekt sich schließlich seines Sinnes entleert – und ob mich das einem stummen Sinn näher bringen kann, der im Objekt selbst ist, wie Sie es vorher gesagt haben – und dieser stumme Sinn ist definitiv kein Wort unserer Sprache…

I: Dass das Objekt stumm ist, wer sagt das? Das sind Sie. Sie sind es, die entschieden haben, dass das Objekt nicht spricht, nicht artikuliert, nichts sagt. Aber wenn das alles wahr ist, warum müssen wir dann in unserem Leben Gegenstände mitschleppen? Warum muss man eine Sandale behalten, die man besaß, seit man vierzehn Jahre alt war? Warum behalten wir die Sandalen unserer vierzehn Jahre? Weil sie nicht mehr sprechen? Und niemals gesprochen haben? Nein, sie sprechen. Die Objekte sprechen. Aber sie sprechen ihre Sprache.

A: Ja.

I: Die Objekte sprechen ihre Sprache. Der Wind spricht. Der Wind spricht seine Sprache. Die Vögel sprechen. Sie sprechen ihre Sprache. –

Aber gut. Ich glaube, dass ein Objekt, das in China geboren wurde, das eine Reise von China nach Europa gemacht hat, von Europa nach Afrika, und von Afrika nach Europa – von diesem Objekt kann man nicht sagen, es sei sinnlos. Auch wenn man ihm gern den Sinn nehmen würde, es ent-sinnen würde – erlauben Sie den Ausdruck – auch wenn man das wollte, könnte man es nicht; oder wenn man es täte, dann hätte man eine zufällige, wissenschaftlich unzulässige Entscheidung getroffen. Ode wenn man es einfach für die intellektuellen Zirkel täte oder aus einem ästhetischen Snobismus welcher Art auch immer heraus – dann würde man etwas sehr Faschistisches und Gefährliches tun.

A: Warum?

I: Weil man durch das Objekt die Kultur des anderen negieren würde. Das ist schrecklich. Man würde seine ganze Aufladung negieren. Denn jedes kleine Objekt – selbst diejenigen, die gleich wieder kaputt gehen – denn was von dem, was in China, Japan oder Europa serienmäßig hergestellt und vom Händler verkauft wird, würde nicht schnell kaputt gehen – trägt in sich ganz China und darüber hinaus die ganze Menschheit. Das Problem ist also nicht, dass das Objekt schnell kaputt geht; das Problem ist, dass dieses Objekt, das schell kaputt geht und aus China kommt – welchen Moment der Geschichte Chinas bringt es mit sich? Den Moment, in dem China eine neue Richtung auf dem Weg des Kapitalismus einschlägt, im Angesicht einer Globalisierung, die nicht die höfliche Konkurrenz der Katzbuckler erlaubt, die Geschichten der Höflichen. Es ist eine wilde Konkurrenz. Ein Objekt muss schnell bereit, schnell auf dem Markt sein. Und man muss schnell hingehen und es dort verkaufen, es muss schnell kaputt gehen, damit man schnell wieder verkaufen kann, man muss, man muss, man muss Geld verdienen… Dieses Objekt da trägt Sinn in sich. Es informiert uns über die ideologische Situation nicht nur in China, sondern des globalisierten Systems der Welt, der Globalisierung. Die Globalisierung als die herrschende Ideologie der heutigen Welt.

A: Als ich gesagt habe, dass ich kein afrikanisches Objekt hätte, da habe ich ein Objekt vergessen. Das ist für mich allerdings afrikanisch und zugleich ein natürliches Objekt, ich habe wirklich nicht daran gedacht – ich werde es Ihnen zeigen…

I: Wie Sie wollen!

A: Also, es ist dieses hier.

 

Ich packe die Muschel aus und zeige sie. Abdou Bâ übernimmt die Kamera und filmt im Folgenden vor allem mich.

 

I: Leg das auf den Tisch und bring es in Beziehung zu dem Objekt, das aus China zu dir gekommen ist.

A: Gut.

 

Ich lege den Meteoriten auf den Tisch.

 

I: Du bringst sie in Beziehung. Jetzt. Hast du sie in Beziehung gebracht?

A: Ja, aber es gibt –

I: Was?

A: Es gibt noch ein Objekt aus China.

 

Ich lege die Buddha-Hand auf den Tisch.

 

I: Gut. Bring sie in Beziehung. Jetzt. Das Objekt, das aus Afrika kommt, öffne es und lege es an dein Ohr. Das Rechte. Das Objekt, das zu dir aus Afrika kommt. Du öffnest es.

A: Ja.

I: Lege es auf dein linkes Ohr. Hör ihm zu.

A: Ja, ich höre das Meer. Ich hatte so eine Muschel als Kind.

I: Rede, rede, rede, rede, rede.

A: Mein Vater hatte sie mitgebracht, und ich liebte es, dem Meer zuzuhören.

I: Rede, rede, nimm dir viel Zeit. Hör ihm zu. Rede…rede mit lauter Stimme! Rede, man hört dir zu. Rede.

A: Ja, aber das – das ist das Meer, und das Meer habe ich immer sehr geliebt.

I: Rede, rede.

A: Und es spricht ganz leicht zu mir –

I: Rede. Sag, was es dir sagt. Erzähle.

A: Es sagt mir etwas Beruhigendes.

I: Erzähle es.

A: Beruhigend, aber gleichzeitig ist es ein bisschen – es ist abgetrennt, entfernt.

I: Erzähle.

A: Es hat nichts mit uns zu tun – es ist wie…das Meer ist immer da und es gibt nicht wirklich… Es ist beruhigend, weil es sich nicht ändert. Die Details haben keinerlei Bedeutung. All die Fische – da… Ja, es gibt dort Fische, es gibt die ganzen Tiere des Meeres, die sich in verschiedene Richtungen bewegen, ja? Die das Meer durchqueren oder sich in großen Gruppen zusammenfinden – und sie sind wirklich so viele, dass man sie nicht zählen kann.

I: Es ist nicht nötig, sie zu zählen, aber erzähle, was sie sagen. – Niemand wird sie je zählen können, aber du wirst erzählen, was sie dir sagen, diese Schwärme von Fischen.

A: Gut, sie sagen, dass sie schon viel länger da waren als wir…dass sie sich mit Leichtigkeit bewegen…im Wasser…

I: Sind es viele? Siehst du sie? – Siehst du, wie sie sich bewegen?

A: Was?

I: Siehst du, wie sie sich bewegen?

A: Sie bewegen sich – ja, es ist so, sie bewegen sich so, und dann so, so, nicht? (Zeigt mit den Händen.) Sie machen sehr schnelle Bewegungen, dann ändern sie die Richtung, sie gehen in diese Richtung da, sie bewegen sich in großen Gruppen…

I: Rede darüber, rede darüber! Rede über das, was du siehst!

A: Ja. Sie haben Farben, die für uns sehr geheimnisvoll sind. Es gibt dort Fische, die sind durchsichtig, man kann das kleine Skelett darin sehen… Und es gibt sehr große Fische, es gibt das alles. Und alles bewegt sich mit einer Leichtigkeit, die wir nicht kennen, weil wir hier mit unserem Gewicht sind, unserem Körper auf der Erde, und auf zwei Beinen laufen müssen, mit Langsamkeit wegen der Schwerkraft.

Und das, was ich höre, das ist auch der Wind, nicht nur das Meer. Es ist der Wind, der diese enorme riesige Oberfläche des Meeres überquert und fast nichts darauf findet, denn es gibt zwar die Wellen, aber außer den Wellen ist es doch sehr einförmig. Es gibt all diese kleinen Bewegungen der Wellen, es gibt große Wellen, kleine Wellen, aber es gibt keine Verschiedenheit der Materialien wie hier auf der Erde. Also, die ganze Verschiedenheit des Meeres ist innen versteckt. Und für uns ist sie nicht sichtbar. Heute kann man mit Instrumenten dort hineintauchen, aber normalerweise war das für den Menschen ein physisch verbotenes Terrain, und ich glaube, dass es in vielen Kulturen auch kulturell verboten war. In den Ländern, in denen es Fischer gibt, liebt man das Schwimmen nicht sehr.

I: Ja?

A: Und ich liebe es zu schwimmen, ich habe es immer geliebt im Wasser zu schwimmen, denn das gibt mir das Gefühl, leicht zu sein und mich ein bisschen zu verlieren. Mich leichter bewegen zu können.

I: Ja?

A: Und ich habe es immer geliebt – aber mit all dem berührt man nur den Rand des Meeres! Man ist schließlich, im Vergleich zu dieser enormen Weite –

I: Ja…

A: …des Meeres, man berührt nur den –

I: – den Rand –

A: – den kleinsten Rand, wenn man sich dort hineinwirft.

I: Ja…

A: Das ist, als würde man nur den Zehennagel von einem enormen Organismus berühren.

I: Ja…

A: Es gibt ein Buch von Stanislaw Lem, „Solaris“, in dem er einen sehr großen Ozean auf einem anderen Planeten beschreibt, einen denkenden Organismus, der in der Lage ist, in sich zu formen, alle Objekte nachzubilden, die sich in der Erinnerung der Menschen befinden.

I: Hm hm…

A: Also ist es bei ihm wie eine Materie, die alle Formen annehmen kann –

I: Hm hm…

A: – die vorstellbar sind.

I: Hm hm…

A: Und das finde ich sehr richtig, weil ich den Eindruck habe, dass es auch bei uns so ist, nicht wahr? Alles ist aus sehr einfachen Elementen gebildet –

I: Ja –

A: – die sich zu einem Objekt ordnen und die sich zerstören können, um andere Objekte zu formen, oder am Ende im Universum zu verschwinden – ist es nicht so? Also ist das wie eine immerwährende Transmutation –

I: Hm hm…

A: Aber so ist das auch mit den Fischen. Die Kleinsten werden von den Größeren gefressen werden, aber das ist letztendlich nichts Grausames, es ist nur eine Veränderung der Konstitution… Gut, das war’s.

I: Machen Sie weiter, schauen Sie –

A: Noch weiter?

I: Sagen Sie das, was Sie sehen –

A: Gut, alles, was ich bis jetzt gesagt habe, ist richtig, aber ich habe trotzdem das Gefühl, Dummheiten gesagt zu haben.

I: Hm hm…

A: Es klingt gut, aber vielleicht verstehe ich es nicht innerlich – ich verstehe nicht wirklich, was ich da gesagt habe. Wenn ich wirklich sage, was mir in den Kopf kommt, dann ist das Meer wie etwas, wie ein weibliches Wesen…

I: Hm hm…

A: Das singt. Sehr sanft.

I: Hm hm. – Die ganze Zeit?

A: Ja, das ist sehr sanft. Sehr klar, mit einer sehr klaren Stimme. Es ist nicht wirklich eine Melodie, es ist mehr wie…aber da gibt es eine sehr große Anziehung.

I: Hm hm…

A: Es ist sehr glatt und sauber…

I: Hm hm…

A: Sehr schön…

I: Hm hm…

A: Und ich fühle mich damit verbunden.

I: Hm hm…

A: Und es ist wie eine Verbindung, die von hier kommt. (Zeigt den Solarplexus.)

I: Hm hm…

A: Oder das kommt von dort und geht bis hier. (Zeigt, dass es durch den Kopf eintritt und bis zum Solarplexus geht.)

I: Berühren Sie die Gegend, aus der das kommt!

A: Hier.

I: Berühren Sie es, drücken Sie! Drücken Sie drauf. Drücken Sie!

A: Ja, das ist hier.

I: Drücken Sie drauf, drücken Sie!

A: Drücken?

I: Ja, drücken Sie. Drücken Sie, jetzt!

A: Ja.

 

Ich drücke mit einer Hand auf den Solarplexus.

 

I: Erzählen Sie, was sie Ihnen sagt.

A: Ja, das wird stärker. Das ist keine Melodie, das ist nur ein Ton, das ist – sie spricht nicht mit Wörtern, das ist nur – hm – Wie ein „Ah“.

I: Hm hm…

A: „Ah“ – etwa so…das ist sehr rein. Aber ich kann es nicht übersetzen.

I: Hm hm…

A: Jetzt bin ich müde. – Soll ich bleiben?

 

Issa Samb richtet sich in seinem Stuhl auf. Er ist eine Schlange. Seine Brillengläser blitzen. Eine große Energie fährt von ihm in mich. Ich falle in Trance.

 

A: AHHH

Die Trance ist schwarz, leer und kalt. Durch meinen Körper fahren Wellen. Es ist sehr anstrengend. Nach einer unbestimmbaren Zeit schlägt Abdou Bâ mit den Fingern einen Rhythmus auf den Tisch. Ich erwache aus der Trance.

 

I: Hmm. Legen Sie sie hin.

 

Ich lege die Muschel auf den Tisch und öffne die Augen.