Elke aus dem Moore: Deine Arbeit Entity ist Teil der Ausstellung Future Perfect. Könntest du etwas über die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit erzählen und darüber, was genau sie mit Zukunft zu tun hat?

Antje: Die Arbeit ist selbst eine Zukunftsgeschichte, die für die Ausstellung Dubai Düsseldorf im Kunstverein Düsseldorf entstanden ist. Verschiedene Leute waren eingeladen, für den zukünftigen Zwillings-Stadtstaat „Dubai-Düsseldorf“ architektonische Entwürfe, Mode, Flaggen und eine Währung zu gestalten. Meine Aufgabe als Künstlerin war es, die Kunst der Zukunft zu entwerfen. Dabei habe ich mir überlegt: wie könnte eine Kunst der Zukunft aussehen, die sowohl für Dubai als auch für Düsseldorf interessant wäre? Dubai ist ein islamisches Kulturgebiet und unterliegt somit auch dem Verbot bildlicher Darstellungen aller Geschöpfe aus religiösen Gründen, und Dubai importiert verstärkt westliche Kunst. Wie könnte eine Kunst aussehen, die nicht religiös ist, die aber gleichzeitig den islamischen Vorschriften genügt?
Ich habe ein Szenario entworfen, in dem die Künstlerin „Antje Majewski“ mit einer Biotechnologiefirma zusammenarbeitet, um einen Organismus als Kunstwerk zu entwickeln: eine lebende Monade, die nichts anderes tut, als sich von innen her auszuzehren, um langsam zu sterben und sich dann in eine mumifizierte Entity zu verwandeln. Entity, das ist einfach „das seiende Ding“, das keine weiteren Eigenschaften hat, als zu sein und zu leben; sich nicht fortbewegen kann, nicht fortpflanzen kann, sich nicht ernährt, nicht kommuniziert, keinen Sex hat. Ich hatte die Vorstellung, dass die Menschen diesem Organismus mit einer abstrakten Empathie begegnen, dass sie Mitleid mit diesem Ding entwickeln, um so darauf zu stoßen, was das Menschsein ausmacht: Kommunikation mit der Umwelt und anderen Menschen. Ähnlich wie bei Immanuel Kant: Man stößt auf etwas ganz Fremdes, das einen zurückwirft auf das Eigene. Über die Begegnung mit dem Nicht-Menschlichen könnte man erfahren, was man als Mensch in der Gemeinschaft sein kann. Wenn der Betrachter Mitleid mit der Entity empfindet, dann mit einem Wesen, das selbst keinen Schmerz fühlen kann, das aber den Menschen einen kathartischen Schmerz erlaubt.
Das Gemälde Donation zeigt, wie „Antje Majewski“ den fertigen Organismus in einem feierlichen Akt im Pavillon der Entität übergibt, einem Bauwerk der Zukunft, das auf einem Architekturentwurf von Ralf Pflugfelder und Markus Miessen (nOffice) basiert. In den Pavillon habe ich Menschen gemalt, die ich kenne und die in Gewänder gekleidet sind, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie in Zukunft als Mischmode aus verschiedenen Elementen in Dubai getragen werden könnten. Das Bild ist angelehnt an ein Gemälde von Piero della Francesca: die Begegnung des Königs Salomon mit der Königin von Saba – eine Begegnung von zwei Kulturen, bei der man sich sehr würdevoll begegnet und etwas übergibt.
Dann geht die Geschichte nicht so schön weiter, denn fünfzig Jahre danach haben die Menschen die Entität zu einem religiösen Anbetungsobjekt umfunktioniert. Die Menschen versuchen, den Schrein anzufassen, er wird zu einer Art Kaaba. Markus Miessen und Ralf Pflugfelder haben ein riesiges Pilgerzentrum entworfen, in dessen Mitte der Schrein steht, in dem die Entity aufbewahrt wird. Der ersetzt dann alle Kunst. Er ist die Kunsthalle der Zukunft, und die enthält nur dieses eine Objekt.
Weitere Jahrzehnte später hat es eine Revolution gegeben, der Schrein ist zerstört. Ein Gemüsehändler hat sich ein paar Überreste mitgenommen, ein rundes dekoratives Element, das in Anlehnung an die Entität bemalt ist mit abstrakten Kreisen, die aber auch die Noppen auf der Oberfläche des Organismus sein könnten. In meiner Installation gibt es ein Mauerstück, an dem das Dekorative Element lehnt, darunter befindet sich ein kleiner Glaskubus, in dem die völlig eingeschrumpfte Mumie der Entität sehen ist. Zwischen der Übergabe und dem Gemüsehändler liegen ungefähr hundert Jahre. Das Ganze wird in einem Text erzählt, den man mitnehmen kann.

Elke aus dem Moore: Interessant daran finde ich, wie du dich mit zentralen Fragestellungen des interreligiösen und transkulturellen Miteinanders auseinandersetzt und Formen der Kommunikation aufgreifst, die die Basis von kultureller Übersetzung sind. Dich beschäftigt das Erfahrbarmachen und Aufrufen von altem Wissen. Wissen, welches nicht nur kognitiv ist, sondern mit Intuition und Spiritualität verbunden ist. Siehst du Möglichkeiten, über die Kunst Formen des alten Wissens zu aktivieren?

Antje: Entität steht für mich am Anfang einer Reise, einer Suche mithilfe von Objekten, die in ein großes Ausstellungsprojekt im Kunsthaus Graz mündete: Die Gimel-Welt von 2011. Das erste Objekt, um das es dabei ging, die Entität, ist das Objekt, welches völlig unzugänglich ist, vielleicht aber einen für uns uneinsehbaren Sinn in sich birgt (wie bei Kant). Ich glaube, der Moment, in dem man erfährt, dass die Welt auf eine ganz verrückte Art fremd ist, kann zwei Reaktionen hervorrufen. Man kann entsetzt oder fasziniert sein. Das Faszinierende an der fremden Welt, von der wir ein Teil sind, hat für mich etwas sehr Spirituelles: das Staunen darüber, wie großartig die Welt ist, in der sich all diese merkwürdigen Sachen befinden. Meine Monade ist nicht fremder als eine Spinne, wenn man sich diese genauer anschaut. In der Gimel-Welt wurden sieben Objekte aus verschiedenen Weltgegenden untersucht. Ich bin dorthin gefahren, wo sie herstammten, nach China, Afrika und Europa, und habe überall mit Menschen über die Objekte gesprochen und viel gelernt.
Es ist sehr wichtig, die Geschichten zu respektieren, die ein Objekt in sich birgt: seine kulturelle Herkunft, die Geschichte der Menschen, die diese Dinge schon mal in den Händen hielten. Darüber hinaus gibt es aber den Respekt vor dem Eigenleben der Welt, dass man auch respektiert, dass man über die Welt nicht wirklich verfügen kann, dass letztlich sogar die Dinge, die wir selber machen, für uns in einer bestimmten Form unzugänglich sind.

Elke aus dem Moore: Ich würde gerne noch mal auf deine Arbeitsweise eingehen. Die Malerei ist zentraler Fokus, eine individuelle künstlerische Praxis, dennoch ist deine Arbeit stark vom kollektiven Gedanken geprägt. Seit vielen Jahren integrierst du befreundete Künstler und Künstlerinnen, Freunde und Freundinnen aus anderen Disziplinen in den Prozess deiner Arbeit. Welche Rolle spielt die Gemeinschaft für dich?

Antje: Für meine Bilder und Videos arbeite ich oft mit mehreren Akteuren, denen ich Freiheiten lasse. Daraus ergeben sich die interessantesten Entwicklungen. Ich weiß zwar schon, wie die Dinge aussehen sollen, aber eher auf eine unbestimmte Art. Unbestimmt, aber präzise! Ich habe immer mal wieder kuratiert; dabei bin ich neugierig, was die anderen Künstler und Künstlerinnen machen, wenn ich ihnen diese Freiheit gebe. Seit einem Jahr arbeite ich mit der Künstlerinnengruppe ƒƒ; wir versuchen als feministische Künstlerinnen, neue kollaborative Sprachen zu finden. Es ist für mich das erste Mal, dass ich über meinen Freundeskreis hinaus versuche, eine Gemeinschaft zu erzeugen und zu leben. Es ist wunderbar.
Ich habe gelernt, dass das Vorbild für die Entity eine Multikern-Frucht ist. Das war für mich das Sinnbild für das, was in der Gimel-Welt entstanden ist, nämlich eine Welt, in der es sehr viele Kerne geben könnte. Sehr viele Individuen, die zusammen etwas formen, wie diese Ausstellungen. Die Frucht zerfällt irgendwann, und jeder Kern kann wachsen und einen neuen Baum machen. Ich fand es schön, dass sich diese leidende Monade irgendwann in etwas ganz anderes verwandelt hat: nämlich in eine lebendige Frucht, die einen historischen Hintergrund hat und von der ich mir vorstellen kann, dass sie sich fortpflanzt. Ich glaube, dass diese lebendige Frucht von Anfang an enthalten war.

Elke aus dem Moore: Insgesamt trägt deine Arbeit ein utopisches Moment und spricht doch sehr stark von der Gegenwart. Mit den Bildern werden die Ideen und Vorstellungen weiter in die Welt getragen. Wie siehst du die Entwicklung der Kunst?

Antje: Die Frage ist natürlich auch, was Kunst sein könnte, wenn sie nicht mehr eurozentrisch ist. Was ich erwarte und was jetzt auch schon passiert: dass sich das weg bewegt von Europa, von uns als denjenigen, durch die Bedeutung erzeugt wird. Es wird also schon so eine Multikern-Frucht. Viele realisieren noch nicht, dass es so ist.

 

Aus:
Stepken, Angelika; Ziegler, Philipp (eds.). Future Perfect. Contemporary Art from Germany. Exh. cat. Stuttgart: Verlag für moderne Kunst, 2012.