Antje Majewski beschäftigt sich in ihren Gemälden und Videos mit der sozialen Bedeutung von Objekten, besonders in musealen Zusammenhängen. Sie lebt und arbeitet teilweise in Himmelpfort, nicht weit von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Im Frühjahr 2013 fielen ihr in der neuen Präsentation der Gedenkstätte kleine Objekte auf, die von den Gefangenen des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück gemacht wurden. Sie wurden meist anderen Gefangenen (und in seltenen Fällen auch SS-Aufseherinnen) geschenkt. Viele dieser Gegenstände wurden aus Plastikzahnbürsten geschnitzt. Nur wenige der Miniaturen sind zu sehen, da sich das Plastik abbaut und durch Ausdünstungen auch die benachbarten Gegenstände zerstört.

Antje Majewski entschied sich, diese Objekte in der Serie Miniaturen zu malen, um sie zu vergrößern und sichtbar zu machen; gleichzeitig konservieren die Gemälde ihr Abbild für eine Zeit, in der die Objekte selbst vielleicht zerfallen sein werden. Die Serie von Gemälden fügt sich so in die Aufgabe der Gedenkstätte ein, die Erinnerung an die Frauen wachzuhalten, die in diesem KZ gelitten haben. Im Falle eines Verkaufes wird der Erlös dabei helfen, Restaurierungsarbeiten an der Originalen sowie 3D-Scans zu finanzieren.

In der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück gibt es zwei unterschiedliche Formen ihrer Präsentation. Im früheren Gefängnisblock wurden einige Zellen von den Verbänden ehemaliger Häftlinge aus den verschiedenen Herkunftsländern als Gedenkräume eingerichtet – hier werden die Miniaturen zu Reliquien. Die neue Ausstellung dagegen, kuratiert von einem Team um die Leiterin Dr. Insa Eschebach im Gebäude der ehemaligen Kommandantur, hat einen eher soziologischen und didaktischen Ansatz, der die BetrachterInnen über die sozialen Beziehungen unter den Inhaftierten unterrichtet.[1]

Viele der Gegenstände stellen Miniaturhunde dar; es gibt auch einige Elefanten, Katzen, einen Schlüssel und einen Miniatur-Brieföffner. Möglicherweise ähneln sie Objekten, die diese Frauen in der Freiheit gemacht hätten, um sie Freundinnen zu schenken. Sie gehören zu einer Tradition, die in die Zeiten der Wunderkammern zurückreicht: Handwerkskunst in Form von Miniaturtieren, Schühchen und Tässchen zu zelebrieren, oder tausend Gesichter in einen Kirschkern zu schnitzen. Während die luxuriös unbrauchbaren Gegenstände in der Wunderkammer dazu bestimmt waren, die Oberschicht zu amüsieren, scheint es seltsam, dass einige der gefangenen Frauen ihre kostbare Zeit und Energie darauf verwenden sollten, solch unbrauchbare Objekte aus ihren Zahnbürsten herzustellen – oder sogar aus einem Kirschkern.

Doch diese Objekte hatten einen anderen, sehr wichtigen Nutzen. Oftmals waren es Geschenke. Freundschaft war innerhalb des Lagers keineswegs ein Luxus. Freundschaft war eine Möglichkeit, zu überleben. In der Lage zu sein, etwas schenken zu können, einem anderen Menschen eine Freude zu machen, half, die Bindungen zu festigen, die angesichts des Todes von größtmöglicher Bedeutung sein konnten. Viele der Frauen blieben ihr Leben lang befreundet, wenn sie das Lager überlebten.
Die Miniaturen wurden auch als Glücksbringer angesehen. Einige der Gegenstände waren religiöser Natur, meistens handelt es sich um Kreuze oder Rosenkränze. Aber die kleinen Hunde, Katzen oder Elefanten hatten keine kodierte Bedeutung.

Der Akt des Schaffens einer Form ist in sich ein Akt der Freiheit, besonders wenn diese Form keinen offensichtlichen Nutzen hat. Indem sie ein Messer nahmen und etwas aus ihrer Vorstellung heraus schufen, während sie unter den Bedingungen eines extrem regulierten Tagesablaufs lebten, in dem beinahe jeder Schritt beobachtet wurde und ihr Leben in Sklavenarbeit aufging, muss dies für die Gefangenen ein Moment der Rückkehr zu sich selbst gewesen sein, ein Widerstand dagegen, in eine Maschine verwandelt zu werden, die benutzt werden konnte, bis sie abgenutzt war. Mit Aby Warburgs Worten lässt der Akt des Erschaffens von Formen einen »Distanz-Raum« entstehen, der helfen konnte, die Angst zu bannen. Wenn die Gabe der Objekte an eine Freundin mit einer kleinen Zeremonie verknüpft war, der Feier eines Geburtstages oder Feiertages, dann war das ebenfalls eine sozial geteilte Form. Diese Objekte scheinen heute die Unterpfänder der Freiheit zu sein: der Freiheit, Gefühle zu haben, für andere zu sorgen, von einem Leben nach dem Lager zu träumen – und der Freiheit, Formen ohne Nutzen zu erschaffen.

Formen ohne Nutzen, aber möglicherweise mit doppelter Bedeutung: Ein Schlüssel – um das Gefängnis aufzuschließen. Ein Brieföffner – um die zensierten Briefe zu öffnen, die ihnen von der Welt draußen berichteten. Oder ein Brieföffner, den man als Waffe gebrauchen konnte? Winzige Schuhe – während viele Gefangene blutende, offene Füße von der Arbeit oder vom langen Stehen im Appell ohne Schuhe hatten. Ein Pferd oder ein Vogel – um davonzufliegen oder zu galoppieren. Haushündchen – um die deutschen Schäferhunde zu ersetzen, die darauf trainiert waren, fliehende Gefangene anzugreifen und ihnen die Gedärme herauszureißen. [2]

Antje Majewski sieht sich als die zweite Autorin der gemalten Objekte – eigentlich bereits die dritte Autorin, denn die Objekte konnte sich nur auf der Grundlage von Fotografien malen, das sie viel zu fragil sind, um selbst Modell zu stehen. Die Serie basiert deshalb auf Fotos von Dr. Cordia Schlegelmilch, die freundlicherweise von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zur Verfügung gestellt wurden.

Da ihre eigentlichen Urheberinnen aber die Gefangenen sind, schien es Antje Majewski richtig, mit diesen Gemälden kein Geld verdienen zu wollen. Auch die Galerie neugerriemschneider, von der Antje Majewski vertreten wird, beteiligt sich hier zur Hälfte. Im Falle des Verkaufs eines der Gemälde der Serie Miniaturen wird die Hälfte des Erlöses der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zur Verfügung gestellt. Die andere Hälfte wird dem Verein STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiativezugute kommen. Aus der Serie der Miniaturen wurden bisher zwei Arbeiten an die Bundesrepublik Deutschland – Sammlung Zeitgenössische Kunst verkauft, der Erlös wurde gespendet.

Viele deutsche Staatsbürger, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, überlebten nur, weil andere Länder sie aufnahmen. Das Recht auf Asyl ist auch deshalb in unserer Verfassung verankert: jeder Flüchtling, der aus politischen, rassistischen oder anderen Gründen verfolgt wird, darf in Deutschland Asyl suchen. An die Stelle dieses unbedingten Grundrechts ist heute ein Recht getreten, das an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Deutschland hat eine Regelung im europäischen Recht ausgehandelt, die einem Flüchtling das Recht abspricht, um Asyl zu bitten, falls er/sie über ein sicheres Drittland einreist (§ 26 a AsylVfG). Das Recht auf Asyl sollte für jede/n gelten, der Asyl braucht und Deutschland erreicht – egal auf welchem Weg. STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative betreut Flüchtlinge auch ohne gültige Papiere bei Behördengängen, medizinischen Notfällen und mit psychologischer Beratung.

Antje Majewski bedankt sich besonders bei Frau Dr. Insa Eschebach und ihren Mitarbeitern in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück für die wunderbare Zusammenarbeit; bei der Galerie neugerriemschneider für die Beteiligung an der Spendenaktion und ihr Vertrauen; bei der Bundesrepublik Deutschland – Sammlung Zeitgenössische Kunst; außerdem bei Eva Scharrer, Svenja Reichenbach, Kenan Darwich und Omar Nicolas für ihren Anteil an der ersten Ausstellung der Miniaturen in der Deutschen Bank Kunsthalle 2013.

[1] Siehe auch: Insa Eschebach, Ravensbrück – Erinnerungsstücke. Zum Ausstellen von Dingen in nationalen Gedenkräumen. Museumsblätter: Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg / [hrsg. vom Museumsverband des Landes Brandenburg e. V.], Heft 10 / 2007, S. 34 – 39. Insa Eschebach, Ravensbrück. Die Gedenkstätte im Kontext der deutschen Nachkriegsgeschichte. Museumsblätter: Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg / [hrsg. vom Museumsverband des Landes Brandenburg e. V.], Heft 20 / 2012, S. 50 – 55
[2] Wie zum Beispiel erzählt in: Charlotte Müller, Die Klempnerkolonne in Ravensbrück, Dietz, 1981