Salzburger Kunstverein, Austria
September 25 – November 30, 2008

 

Als das Theater aufhörte, für die avancierte Kultur noch eine große Rolle zu spielen, entdeckten KulturwissenschaftlerInnen das Performative als Kategorie – nicht der darstellenden Kunst, sondern – des Alltags. Sogar Gender sei ein Performanzprodukt, meinte Judith Butler Anfang der 90er-Jahre. Bereits 1976 hatte der Deutsche-Klassiker-Schauspieler Will Quadflieg seiner Autobiografie den durchaus verallgemeinerbaren Titel „Wir spielen immer“ gegeben. Seither erfahren in der bildenden Kunst alte Allianzen mit dem Theater ein Revival – etwa das Tableau vivant in der inszenierten Fotografie – oder werden neue erfunden, wie die zahlreichen Re-enactments und Reality Remakes in der Videokunst belegen. Durch die Wiedergeburt des Theatralischen – nicht des Theaters selbst – aus dem Geist des Performativen wurde etwas umgekehrt oder besser gesagt verdoppelt, was üblicherweise zum Ästhetisierungsprozess in der westlichen Kultur gehört: Dinge, die keinen praktischen Nutzen mehr haben, werden als ästhetische Objekte wiederentdeckt und gelangen vom Schrottplatz ins Museum. Wie ist es aber mit ästhetischen Praktiken, die an künstlerischer Relevanz eingebüßt haben (quasi aus dem Museum entfernt wurden) und nun umgekehrt in der alltäglichen Praxis wieder eine Rolle spielen? Und was passiert, wenn – um die paradoxe Verwirrung komplett zu machen – dieses nun wieder künstlerisch reflektiert und musealisiert wird?

Antje Majewskis Mid-career-Bilanzausstellung My Very Gestures im Salzburger Kunstverein führte diese Problematik sehr eindrucksvoll vor Augen. Selbst Grenzgängerin zwischen Tanztheater, Performance und Malerei, hatte sie für ihre großformatigen Leinwände, Videos und Kostüme ein hybrides Setting entworfen, das Elemente aus Museum, Varieté und Kino enthielt. Majewskis (Selbst-) Inszenierungen, die sie filmen lässt oder fotografisch festhält und dann in großformatige, den Fotorealismus übersteigernde Malerei übersetzt, zeigen u.a. das Eindringen phantastischer Theatralik in gänzlich prosaische öffentliche oder schlicht wüste Räume. Wie die Darstellerinnen von seltsamen Reptilien in einer von Matthew Barney inszenierten Kinderoper robben sich die Künstlerin und ihre Kollegin Julia Solmsdorf in Pailletten-Glitzer-Kostümen durch den Berliner Stadtteil Wedding, und das Video davon wurde in einer trichterartigen Black box vorgeführt, mit den Kostümen in beleuchteten Schaufenstervitrinen daneben – also in Gesten des Zeigens, Ausstellens, Konservierens und Musealisierens. Dem grotesken und manchmal grellbunten Mummenschanz haftet etwas berührend Melancholisches an, was sich auch durch Majewskis morbid anmutendes Interesse für ägyptische Mumien (und pulversierte Mumien als Farbpigment), ausgestorbene Tierarten (Dinosaurier), verschwundene Monumente der Ausstellungskunst (der Londoner Kristallpalast) und die Geister aufgelassener polnischer Bergwerke bekundet. In diese Fin-de-siècle-Stimmung einer höchst selbstreferenziellen Theatralik passt das Motto des Katalogs, dem auch der Ausstellungstitel entnommen worden ist, ein Zitat aus dem Album „Welcome to the Pleasuredome (Real Altered)“ (1984) von Frankie goes to Hollywood, das sich seinerseits auf Nietzsches Artistenmetaphysik in „Die Geburt der Tragödie“ bezieht: „In song and in dance I express myself as a member of a higher community (…) My very gestures express enchantment. I feel myself a god (…) I walk about echanted, in ecstasy, like gods I saw walking in my dreams. I am no longer an artist, I have become a work of art.“ Bei Majewski hingegen stehen die zu Kunstfiguren gewordenen Götter sich ängstlich umklammernd auf einer kaputten Trinkwassersäule vor der Berliner U-Bahnstation Pankstraße.

In: Spike, Frühjahr 2009, S.110-111