Antje: Die ist ja ganz schön neckisch. Nymphenburger Porzellan.

Ingo: Eigentlich nicht so, wie man sich Jugendstil vorstellt.

Antje: Das hier schon eher, mit diesen Fischen und komischen stilisierten Ästen, da, guck mal. Diese Hechte und Karpfen – das hätt ich gerne, ein Fischservice modern. Hermann Gradl, auch aus Nymphenburg, um 1900. In grün und lila.

Ingo: Ah, die Skiläuferin.

Antje: Ja, 1907. Komisch, die sieht viel später aus als 1907, findst du nicht? Ich dachte immer, daß die erst in den Zwanzigern in kurzen Röcken und Pullovern Ski gelaufen sind. Ich dachte, 1907 haben die noch Korsetts gehabt. Wann war denn Coco Chanel und so?

Ingo: Man hat den Eindruck, daß man ihren Bauchnabel sehen kann.

Antje: Ja, das ist moderne Kleidung plus Manierismus. Die dicksten Wollpullover zeigen noch den Bauchnabel – drunter natürlich,  nicht weil er nur bis zur Brust geht.

Ingo: Die Zierschale …

Antje: Das ist ein Teller, der ist rund, und da läuft so perlmuttfarbene Glasur in der Mitte zusammen und es ragen so zerrupfte Blütenblätter aus diesem Pool von Glasur heraus und das Ganze wird eingefaßt von einer Schnur, so ähnlich wie ein Wasserrosenblatt sieht das dann aus, und diese Schnur endet in einer Hand, die nach innen zeigt und mit einem Finger in diesem Glasurpool reibt.

Ingo: Eigentlich mit allen Fingern. Der Zeigefinger stupst…

Antje: Und die Finger sind sehr hübsch. Zierlich, ohne zu dünn zu sein. Wir sagen mal gerade, was das ist: Der Entwurf ist von Martin Fritzsche, 1898, und es kommt aus der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin.

Ingo: Erworben mit den Mitteln der Deutschen Klassenlotterie.

Antje: Mmh. Dafür geben also die armen Leute ihr Geld aus.

Ingo: Aber hier die Sachen von Franz Metzner …

Antje: Ach nee, die gefallen mir nicht so. Wir besprechen nur Sachen, die uns gefallen.

Ingo: Das hier.

Antje: Hmh, stimmt. Das ist schon ziemlich – gothic. Vase mit Drachen. Das beschreibst du jetzt mal.

Ingo: Vase mit Drachen, Entwurf Franz Metzner, 1899. Scheint auch perlmuttfarben, Perlmutt basierend auf Lavendel und ein bißchen Modrig-Pastellgrün sind die Farben…

Antje: Also das ist drunter, und dann ist einfach weiße Glasur drüberlaufen gelassen, glaube ich, …

Ingo: Ja, genau. Und der Vasen-, wie sagt man: Vasenkelch?

Antje: Hals.

Ingo: … der Vasenhals biegt sich schräg nach oben und öffnet sich leicht wie ein Tröte. Und der Vasen-

Antje: Bauch …

Ingo: … wird umschlungen wieder von –

Antje: Ja, das kann man hier nicht so richtig sagen, was das ist, das sind halt eher so geschwungene wie so Muskeln oder so abstrakte Ornamente, die dann auf einmal unvermittelt oben doch…

Ingo: Ich würde es ein vitales Element nennen.

Antje: Genau, vitale Elemente, die auf einmal in einem Drachenkopf enden mit einem aufgerissenen Maul. Aber das scheint fast zufällig zustande gekommen zu sein, als hätte der Künstler erst einmal vitale Elemente geformt und die hätten sich auf einmal in einen Drachen verwandelt und dann hätte er halt noch so Augen dazugefügt, um das noch deutlicher zu machen.

Ingo: Ja, das ist eigentlich eine automatische Skulptur. Wie das automatische Schreiben … Na, eigentlich ist die Vase auch ein bißchen so wie der Ozean in Solaris.

Antje: Der ständig seine Form wandelt, und man hat das Gefühl, Sachen wiederzuerkennen. Aber das stimmt ja auch, der bildet ja auch in nicht ganz realer Form die Erinnerungen der Solaris-Bewohner ab.

Ingo: Und nicht nur das. Wenn man sich ihm tatsächlich nähert, stülpt er sich plötzlich aus und umschlingt einen. Eigentlich auch sehr schlangenhaft, und dieser Drache ist ja eher eine Schlange.

Gehen weiter.

Antje: Aber wir können jetzt nicht so viele Vasen besprechen. Die sehr hübsch sind, also die hätte ich alle sehr gerne, die hätte ich alle to… – oh guck mal die da unten mit diesem Lila und Dunkellila und diesen gelben Blütchen, oh so hübsch. Oder die mit den Gräsern, aus denen so pludrige rosa Blütenfäden rauskommen. Stell mal vor, wenn man das zuhause hätte. Oder die süße kleine da, diese gelbe, schlanke mit diesen trauernden Herzen drauf. Hahh, und guck mal hier das, das ist doch wirklich das, was man sich unter Jugendstil vorstellt oder? Wow. Le Jeu d’écharpes – Das Spiel mit den Schals. Fünf Figuren aus dem fünfzehnteiligen Tafelaufsatz, Entwurf Agathon Léonard, 1898, Porzellanmanufaktur Sèvres. Oh, guck mal da unten die Undine in den Wellen, wie sie da krault, so daß gerade noch eine Brust rausschaut und der Po.

Ingo: Das ist aber schon wieder das nächste.

Antje: Oh, entschuldige. Also hier haben wir fünf junge Damen vor uns, die ziemlich kompliziert gefaltete Gewänder anhaben, die sich zu sehr sehr großen Ärmeln öffnen.

Ingo: Kompliziert ist ja das falsche Wort, das sieht eher knittrig aus.

Antje: Aber jedes ist anders geschlungen. Also alle haben diese großen Ärmel, und dann gibt’s halt noch Einzelheiten von so Bändern, die drübergeschlungen sind. Vor allem bei der in der Mitte hier mit den zwei Fackeln.

Ingo: Ja, alle haben leere Hände, nur eine hat ein Tambourin und die andere zwei Fackeln.

Antje: Die eine singt, und die anderen tanzen dazu. Wunderschön. Ein bißchen gräzisierend.

Ingo: Ich finde die Gesichter auch ein bißchen präraffaelitisch.

Antje: Ja, ein bißchen süßlich sind die.

Ingo: Aber auch diese extrem langgezogenen Nasen. Schau doch mal, wie diese Nase aussieht, das ist nicht süßlich, überhaupt nicht.

Antje: Und diese Handhaltung von ihr schon sehr expressiv. Für 1898. Oder hier, dieser Tanz, wo sie mit dem einen Arm in die Luft greift und mit dem anderen an ihre Sandale – so das eine Bein hinten hochhebt. Das sieht schon fast nach expressivem Tanz aus.

Ingo: Es sieht total nach Ausdruckstanz aus. Auch die Fackelhalterin.

Antje: Das Kleid von der Fackelhalterin finde ich besonders toll, weil das in Kniehöhe von so einem Gurt zusammengefaßt wird, unter dem sich’s noch mal faltet, und oben drüber hat das überhaupt keine Taille. Das finde ich wahnsinnig schick. Und die Ärmel öffnen sich wie Blüten.

Ingo: Ihre Haare sollten wir vielleicht auch beschreiben. Anders als die anderen Frauen hat sie Korkenzieherlocken und eine Pony-Frisur im weiteren Sinne. Die anderen tragen alle Mittelscheitel, während sich bei ihr, ja, …

Antje: Also, es ist ganz einfach. Die anderen haben so lockere Jahrhundertwende-Frisuren, also plustrige Locken, die ein bißchen griechisch aussehen sollen – die haben nämlich hinten einen Chignon und zwei haben ein breites Band im Haar -, und die in der Mitte soll eher frühgriechisch aussehen, wie eine frühgriechische Fackelhalterin oder Göttin, die dann auch viel strenger ist und sich nicht frei bewegt, sondern ganz symmetrisch dasteht, und die Frisur ist angelehnt an die von Koren.

Ingo: Was soll denn das sein, von wo aus die Haare zum Pony auslaufen?

Antje: Darüber sitzt ein Helm, und darunter schauen die Locken hervor.

Ingo: Ja.

Antje: Das ganze sieht überhaupt aus wie eine Perücke.

Ingo: Es sieht ja auch sehr Kleopatra aus. Wie eine verspielte Kleopatra-Frisur, die mit Korkenzieher-Locken nachgebildet wurde.

Antje: Nee, die Ägypter hatten ja – hatten die Pony? Ich glaub nicht. Die hatten immer Mittelscheitel.

Ingo: Ja, aber die Kleopatra-Frisur ist doch genau so.

Antje: Nee, das sind aber die Hauben.

Ingo: Ja, natürlich die Haube. Es geht nicht darum, wie ihre eigentlichen Haare sind.

Antje: Ach komm, ich weiß es nicht genau. Guck dir mal diese Türgriffe an. Türgriffe, die aussehen wie polierte Klumpen. Und die Vase, die sieht genau aus wie per Hand geknetet aus diesem Zeug, aus dem Zahnärzte ihre Abdrücke machen. Wenn ich die angucke, habe ich gleich diesen Geschmack im Mund.

Ingo: Und sie sieht auch wieder aus wie eine Lebensform. Sehr Giger-haft.

Antje: Ja, schön. Ein grüner Klumpen mit oben Löchern drin und das übrige ist so weich reingearbeitet.

Gehen weiter.

Antje: Oh die da find ich aber auch toll mit diesen blauen Kristallen drauf, was ist das wohl für eine Glasur? Toll, oder?

Ingo: Die sehen aus wie Hologramme.

Antje: Ja, das muß eine bestimmte Glasur sein, wo sich auf diesem gelben Untergrund diese blauen Flecke ausbreiten wie Tinte und dabei diese seltsamen –

Ingo: … die aussehen wie Blüten.

Antje: Wie Blüten, ja, und dabei noch schimmern.

Ingo: Das ist von Alexandre …

Antje: Mit Kristallglasur, siehst du, mit Kristallen.

Ingo: Auch Porzellanmanufaktur Sèvres.

Antje: 1896 bis 1903.

Gehen weiter.

Antje: Die Jugendstilmöbel sind leider doch immer ein bißchen zu wuchtig, finde ich. Ich mag die nur dann, wenn die ganz zierlich sind. Wenn zum Beispiel Stuhlbeine sich so schlingen. Aber man will ja auch nicht wirklich Tische wie den dahinten, die so aussehen, als würden sie gerade in dem Moment aus dem Boden wachsen, oder? Und sich dabei noch gegen den Boden stemmen. Also der ist mir echt zu dynamisch, der Tisch. Ich muß auf einem Möbel schreiben können, das stillhält.

Ingo: Ich denke da auch an Empire. Ich finde, das sind eher so seltsame Tatzen.

Antje: Ja, das sind auch Tatzen.

Geht heran.

Antje: Nee, nicht wirklich. Wenn überhaupt ist das so wie die Rosenkanzel in -, also so spätgotisch. Nee, die Tulpenkanzel, oh Gott, wo mein Großvater herkommt. Bergbaustadt. Komm ich noch drauf.

Ingo: Schau mal, da noch…

Antje: Nee, jetzt machen wir mal was anderes als Vasen.

Gehen weiter.

Ingo: Diese Stühle sind doch jetzt sehr zierlich.

Antje: Die gefallen mir auch sehr gut. Obwohl ich sie trotzdem nicht unbedingt haben wollte. Du?

Ingo: Nein.

Antje: Sie sind zierlich, und sie sind mit einem grandiosen Stoff bezogen, nämlich einem schwarz-beige ganz fein, wie gestrichelten Samt. Aber irgendwie passen die Samtfarbe und die Holzfarbe, finde ich, nicht richtig zusammen, oder? Ich find, der Samt säh viel besser aus an Stühlen mit dunklem Holz, die auch einfach noch schlichter wären.

Ingo: Und die Schnitzereien drücken sich wirklich in den Rücken.

Antje: Oh guck mal Ingo, so was könnten wir auch haben, so einen Vorbau vor der Heizung. Ich find Heizungen immer so häßlich.

Ingo: Aber das sind grauenhafte Energieschlucker.

Antje: Echt?

Ingo: Darum hat man die nicht mehr, das ist der einzige Grund.

Gehen weiter.

Ingo: Und schau mal, das sieht unglaublich Fünfziger-Jahre-haft dann auch schon aus, wie ein Nierentisch.

Antje: Oah, das steht so auf Zehenspitzen, das Möbelchen. Ooahahh, das finde ich halt blöd, ich finde, Möbel sollten…

Ingo: Du hast eben gesagt, Möbel sollten zierliche Füße haben, aber die zierlichen Füße sind das Problem.

Antje: Nein, das Problem sind Möbel, die jeden Moment aufstehen können und rumwandern. Deshalb finde ich den Schrank da bisher doch das beste. Vielleicht ist mir auch einfach das Rechteck vertrauter.

Ingo: Den finde ich auch richtig abstoßend.

Antje: Das stimmt.

Ingo: Vor allem den Aufbau.

Antje: Hast schon recht, okay.

Gehen weiter.

Antje: Oh guck mal das viereckige Teeservice hier aus Zinn. Hoah. Von wegen viereckig. Das sieht aus, als würde allein der Deckel von der Zuckerdose zwei Kilo wiegen. Und Zinn ist auch so ein häßliches Metall. Eichenholz und Zinn. Ppppuuh. Ist das nicht auch giftig? Schon oder? Denk mal, aus diesem Zinnkännchen Milch auszugießen in deinen Zinntee.

Ingo: War das nicht früher immer die Geschichte mit den Zinnbechern, aus denen getrunken wurde, und dann, oder ist das gar nicht Zinn?

Antje: Blei! Bleibecher. Zinn ist gar nicht giftig. Zinn ist einfach nur verschrien als ein sehr billiges Metall. Zinn war halt immer so: Ach, ist ja nur aus Zinn. Und der versucht das hier aufzuwerten.

Ingo: Und so stumpf, so unglaublich stumpf.

Antje: Gleichzeitig sieht`s schwer aus und sieht aber auch wieder aus, als könnte man einmal drauftreten, und dann verbiegt sich das ganze.

Ingo: Mein Vater hatte früher auch Zinnbecher, und ich weiß noch genau, wie die Lippen, wenn die an dieses stumpfe, sehr massive, kalte Metall…

Antje: Also hier haben wir ein Tee- und Kaffeeservice Hueck, KG Lüdenscheid, Entwurf J. M. Olbrich, um 1903. Das Tablett besteht aus Eichenholz mit einer Zinnumfassung, und darauf befinden sich eine Kaffeekanne, eine Teekanne, eine Milchkanne und eine Zuckerdose, alle vier sind quadratisch.

Ingo: Eigentlich …

Antje: … rhomboid, nach unten werden sie ein bißchen breiter. Und haben noch so eingestanzte, eher unbeholfene Ornamente. So blubb, blubb, blubb.

Ingo: Hier die Kerzenhalter mit den Augen, von demselben J. M. Olbrich entworfen. Wie grüne Männchen.

Antje: Diese Kerzenhalter sehen aus wie die Sorte Jugendstil, die direktemangs in den Film führte, zum Beispiel Filme wie der Golem. Der sieht ja komplett so aus.

Ingo: Ich finde, Golem sieht besser aus.

Antje: Nein, so. Und diese Augen sehen eigentlich schon aus wie später, wenn diese expressiv-neogotischen Elemente verwendet werden in Filmen wie von – na wie heißt der noch, von den Monthy-Python-Leuten…?

Ingo: Time Bandits, nein.

Antje: Oder wie der tolle Film von diesem Planeten, der jede Nacht umgebaut wird.

Ingo: Ja, City of Night.

Antje: Der auch so gothic ist, halt eben wie New York und…

Ingo: Aber das ist jetzt alles unglaublich vage und ich glaube, nichts beschreibt das wirklich.

Antje: Wir können ja mal sagen, was hier die offizielle Beschreibung ist: Aha, Herr Olbrich war eigentlich ein Architekt und gehörte der Wiener Sezession an, der Darmstädter Künstlerkolonie und dem Deutschen Werkbund. Und hat auch das Ausstellungsgebäude für die Wiener Sezession gebaut. Immerhin! Und die entwerferische Experimentierfreude kommt mit dem Zinngerät zum vollen Ausdruck. Die altorientalischen Entlehnungen in der Formgebung des Kaffee- und Teeservices ebenso wie die gestreckte Wandung der Weinkanne verleihen den Objekten etwas Weihevolles – sage ich doch! Golem ist nämlich nicht verkehrt! Altorientalisch und weihevoll! So sehen nämlich die Kannen auch aus, die die Juden dort benutzen. – Die vollendete Gestaltung des Leuchterpaars kann als Inbegriff des Darmstädter Jugendstils gelten. Mmh. Auf dieser Weinkanne befinden sich oben Ornamente, die so ein bißchen assyrisch aussehen und…

Ingo: Ja, da sehe ich das auch sofort. Die Weinkanne sieht wirklich golemhaft aus, aber die Kerzenhalter…

Antje: … für mich eben auch.

Gehen weiter.

Antje: Mit Glas kann ich ja immer nicht so viel anfangen. Hoahh! Was ist das, ein Aschenbecher?

Ingo: Ist von der anderen Seite. Wir müssen warten, bis wir die Schilder sehen.

Antje: Wir müssen ja auch nicht alles besprechen.

Gehen weiter.

Antje: Die finde ich aber echt toll, wow. Huuaahh, die Vase hätte ich total gerne. Die ist rot und hat oben schwarze Ornamente, die wie rausgeschnitten sind, und sieht unheimlich modern aus. Das sind drei Vasen nebeneinander, die genauso gut aus der DDR der siebziger Jahre stammen könnten.

Ingo: Ja, stört mich auch. Das stumpfe Rot …

Antje: Ich hätte die trotzdem sehr sehr gern.

Gehen weiter.

Antje: Aber im Grunde gilt das für alles hier. Also ich würde auch gerne so eine Dose hier … ach komm, jetzt habe ich das Gefühl, ich habe ein bißchen einen fusseligen Mund schon.

Gehen weiter.

Antje: Der Wandteppich ist schön.

Ingo: Ja!

Antje: Beschreib du den mal.

Ingo: Die drei Eisheiligen sind es: Als Personifikation des Frostes zerdrückt Mammatus eine Weintraube, Pankratius trägt eine Pelzmütze.

Antje: Also das ist die Weintraube da drüben, da quetscht doch was.

Ingo: Manche kaum zu deutende Bildpartien entsprechen in ihrer Rätselhaftigkeit dem Wesen des dargestellten Themas. – Mm. – Die mosaikhafte Zeichnung verbindet in souveräner Weise Rücksichtnahme auf die Webtechnik mit einer dem Thema gerechten Ausdrucksform. – Mmh, das finde ich aber wirklich einen guten Satz. Hah, okay, Johann Thorn Prikker hat den Aquarellentwurf gemacht, ausgeführt wurde das ganze aber von A. Pahde 1911.

Antje: 1911, das heißt, da war ja sozusagen die abstrakte Malerei gerade erst erfunden, also der zeigt schon so leichte kubistische Einflüsse, aber eigentlich ist das überhaupt nicht kubistisch. Das ist halt so ein ganz seltsames Nebeneinander von ineinander verschachtelten gedeckten Farben.

Ingo: Du mußt ja auch denken, daß im Kubismus das Quadrat überhaupt keine Rolle gespielt hat, während es hier das formgebende Element ist.

Antje: Das kann man so nicht sagen. Im Kubismus gibt es ja ganz viele Diagonalen, und das ist ja auch sehr diagonal angelegt, überhaupt nicht quadratisch.

Ingo: Ja, aber das ist ja eine Pixeltechnik, und so endet man immer wieder beim Quadrat. Und diese Diagonalen verlaufen parallel, während beim Kubismus alles schief steht.

Antje: Also, man hat den Eindruck, hier gibt es ein sehr freies Aquarell als Vorlage, und im Grunde ist dieses Aquarell der Webtechnik überhaupt nicht angemessen gewesen, und jetzt hat ein Handwerker versucht, das möglichst getreu zu übersetzen, und dabei kommen halt zum Teil sehr merkwürdige Linien heraus, vor allem in den Gesichtern, die sind so richtig hellblau, rosa und dunkelrot durchfurcht. Die Gesichter sehen so sehr nervös aus, fast kokoschkahaft. Also da zum Beispiel kann man überhaupt nicht mehr erkennen, wo das Auge ist und was dieser seltsame rote Streifen ist, der quasi vom Auge herunterläuft. Was ist das? Ein Schatten, ne.

Ingo: In jedem Schatten sind halt verschiedene Farben, und da ist immer auch Rot drin.

Antje: Das Komische ist wirklich, das man sich an Computerbilder erinnert fühlt. Also an so Atari-Computerbilder, die so ganz grobe Pixel haben.

Ingo: Nur der Unterschied ist, daß er in zwei Pixelgrößen arbeitet. Das gibt was ganz Komplexes und Wahnsinniges. Große Flächen bearbeitet er mit einer Auflösung von Quadraten, deren Seitenlänge ist ein bißchen kürzer als ein Zentimeter.

Antje: Die entsprechen drei oder vier Webreihen.

Ingo: Vier. Aber er hat auch noch zweireihige Linien.

Antje: Und im Gesicht hat er sogar einreihige Stufen.

Ingo: Stimmt. Und dann sind sie natürlich zum Teil auch in verschiedener Dichte gewebt.

Antje: Und dann müßte man vielleicht noch sagen, daß das eigentlich auch Wahnsinnige an diesem Wandteppich ist, daß diese Köpfe von den Eisheiligen aus einem Gewirr von nicht irgendwie zuortbaren oder entzifferbaren Mustern heraus auftauchen und dann wieder relativ realistisch aussehen. Und vielleicht sollen das ja die Kleider von denen sein? Die so Muster haben.

Ingo: Auf jeden Fall.

Antje: Dann würde ja hier das die Schulter sein, aber was ist das dann da oben?

Ingo: Interessant ist auch, daß das Gesicht ziemlich vertrackt aufgelöst ist, aber hier zum Beispiel eine riesenlange schräge Linie einfach das Gesicht abgrenzt, die völlig gerade durchgezogen ist. Oder hier, diese völlig gerade laufende Nase.

Antje: Jedenfalls ein tolles Ding.

Gehen weiter.

Ingo: Jetzt dieses Bild.

Antje: Oh Gott, nee, wir wollen ja auch nicht nur lauter…

Ingo: Ein Kirschzweig …

Antje: … wächst aus einer … – wie heißt denn das Ding?

Ingo: Eine Spannzange. Dahinter eine Fabrik, aus der Comicsprechblasen wachsen. Vorne drei Menschen. Es ist jetzt auch schon 1936. Das Bild heißt Symbolis.

Gehen weiter.

Ingo: Oh, das müssen wir aber jetzt wirklich kurz beschreiben.

Antje: Okay, hier haben wir mal wieder ein Kaffeeservice, aus Marwitz, Entwurf Margarete Heymann um 1930, Steingut mit Mattglasur. Und das ist hellgelb – och, und wie beschreibt man das jetzt?

Ingo: Eigentlich könnte man sagen, zwei Mickey-Maus-Ohren bilden…

Antje: … den Henkel. Eine weitere Mickey Maus …

Ingo: … kleine Mickey Maus ist der Deckel-… ähm Dings, was ist das…

Antje: … oach, jetzt sind wir schon wieder…

Ingo: … und dabei sind Tasse wie Kanne strenge Kegel, ja … Bauhausschülerin.

Antje: Aber eher noch hier hat man den Eindruck … Boh, guck dir mal diese Teekanne an.

Ingo: Die expressive Gestaltung – ich finde das jetzt überhaupt nicht expressiv, na ja -, die leuchtenden Zinklasurfarben waren bald hochgeschätzt, die Handelsbeziehungen reichten bis in die USA. 1927 verunglückte der Ehemann Gustav Löwenstein tödlich, in der Folge geriet die Manufaktur in wirtschaftliche Krisen und mußte die Produktion 1932 einstellen.

Gehen weiter.

Antje: Hier haben wir jetzt vier Teller, die aus der Porzellanmanufaktur Sankt Petersburg sind und auf dem einen steht: Es lebe die Internationale, auf dem anderen sehen wir Lenin, dann gibt es noch einen mit…

Ingo: … noch mal Lenin als bunter lustiger Geburtstagsteller …

Antje: … und einen mit Hammer und Sichel. Ja, alle Teller sind unglaublich lebensfroh und bunt und sehen eigentlich aus wie von einem Kindergeburtstag. Also es gibt bunte Buchstaben, die herumtanzen, Kinokarten oder so etwas ähnliches, die darüber verstreut sind. Hammer und Sicher sind umfaßt von lauter Blütenkränzen.

Ingo: Schau mal, ein Hammer aus Holz.

Antje: Hmhm. Es lebe die Internationale, das läuft in rosa und grünen und gelben Spruchbändern über eine Fabrik hinüber.

Ingo: Die Buchstaben CCCP sind aus Luftschlangen.

Antje: All diese Sachen sind aus den Zwanziger Jahren noch, also vor der Stalin-Zeit. Denke ich jedenfalls. 1925 ist, glaube ich, Stalin schon dran gewesen, 1922 aber noch nicht. Also hier steht jetzt mal die Übersetzung von der Aufschrift auf dem kunterbunten Lenin-Teller: Wer nicht arbeitet, hat nichts zu essen/ ist nichts.

Gehen weiter.

Antje: Wow, die haben das auch wirklich gut präsentiert hier. Hoa, vor diesem grauen Hintergrund, das ist wirklich Perlmuttglasur. Das, was wir am Anfang gesehen haben, war gar keine.

Ingo: Die andere Perlmuttglasur war einfach nur mit einer weißen übertüncht.

Antje: Nee, nee, es gab nur den Effekt, weil da verschiedenfarbige Glasuren ineinander gelaufen sind. Aber es gibt eine echte Perlmuttglasur, und hier sieht die unglaublich kostbar aus. Oft sieht die halt so kitschig aus, aber wenn die so präsentiert wird, sieht das aus, als würde das Ganze bei Nacht leuchten.

Ingo: Das mag ich auch, diese Dellen hier.

Antje: Oh, das sieht alles so kostbar aus. Eigentlich mag ich die überhaupt nicht.

Ingo: Wie wird denn das gemacht? War das eine neue Entdeckung?

Antje: Das gibt es schon bei den Römern, aber der Jugendstil hat die wieder entdeckt, und zwar sehr massiv. Und das ist natürlich auch eins von den Stilmitteln gewesen, die man später verdammt hat als opulent plus geschmacklos. Da hat man an genau so was gedacht. An hier so klumpige Vasen mit stilisierten Blättern drauf, die dann auch noch in allen Farben schimmern. Buah. Oder die mit so komischen Adern überzogen sind und sich oben am Rand wieder so auswölben. Ich kann schon verstehen, daß diese ganze Organik einem dann auch leicht das Gefühl vermittelt, daß diese Vasen eine Art verformter Magen sind, der sich nach außen stülpt, und daß einem dann selber so ein bißchen schlecht wird. Er wirkt ja alles ein bißchen wie ausgekotzt. Aber ausgekotzt von Aphrodite, der Schaumgeborenen. Oah, na hier diese …

Ingo: Spiderman.

Antje: … rote Vase mit einem schwarzen Aderngeflecht.

Ingo: Aber ich denke die ganze Zeit an Schoko. Es ist wie eine Torte. Eine Torte, die nur noch aus der Lasur besteht, und diese Lasur kann man nun beliebig verformen.

Antje: Also ich find hier schon die strengeren Vasen einfach schöner, die dann aussehen wie seltsames Meeres- …, wie so Kugelfische. Als hätte man die unter Wasser erwischt mit einer speziellen Lampe und könnte die sonst gar nicht sehen. Und auf einmal nimmt man eine UV-Lampe oder so was und das ganze Meer fängt an zu glitzern vor merkwürdigen Wesen.

Ingo: Das hier ist aber wie Knochen. Wie vier Beinknochen, über die eine sehr dünne Missoni-Haut aufgespannt worden ist.

Gehen weiter.

Antje: Im Museumsshop kann man die Kerzenleuchter von Joseph Maria Olbrich kaufen, sie sehen viel silberner aus als in der Ausstellung, sollen aber auch aus Kayserzinn bestehen, und sie kosten pro Stück 249 Euro.

Gehen weiter.

Antje: Diese Einkaufsbeutel finde ich ganz hübsch. Oder? Ach, hier gibt’s die auch noch mal in klein. Ein dekoratives Band mit fliegenden Schwänen. Ein Tapetenentwurf von Walter Leistikow, 1898, auf grobe Jute gedruckt. Vielleicht kann ich mir so einen Einkaufsbeutel als Handtasche kaufen. Was kosten die wohl? Na guck mal, nur sieben Euro. Das kaufe ich mir, auf jeden Fall. Die ist doch echt hübsch, oder?

Ingo: Und die große auch nur zehn Euro.

Antje: Ja, ich kauf eine kleine und eine große.

 

In:

Neue Review, Nr.1, Mai 2003, S. 28 – 31