Alexa: Deine Bilder sind mit großer Zärtlichkeit gemalt.

Antje: Es geht um Liebe und Freundschaft, die Beziehung zwischen Menschen. Genauer, um drei verschiedene Formen der Liebe. Im ersten Teil meines Zyklus L´invitation au Voyage stehen sich die Personen klar gegenüber, treten in ein Gespräch ein, schauen sich an, versuchen, herauszufinden, wer der andere ist. Der zweite Teil besteht nur aus Lovely, dem attraktiven Jüngling, der in diesem Glaskasten sitzt und einen anschaut.

Alexa: Das Bild löst eine gewisse Verstörung aus.

Antje: Warum?

Alexa: Man hat das Gefühl, der ist nicht ganz echt.

Antje: Seine Haare sind eine Perücke.

A: Ach was!

An: Und im dritten Teil wird es eben noch viel wilder und fantastischer. Die Masken sind sehr mächtige und wilde Gestalten, die in dir herumtoben, vielleicht auch mit dir davon reiten. Es hat etwas mit der körperlichen Liebe zu tun, obwohl davon nichts zu sehen ist, weil die abgebildeten Figuren maskiert und von Kopf bis Fuß bekleidet sind.

A: Hast du eine Art Geschichte im Kopf, während Du Deine Bilder konzipierst und malst?

An: Nein. Es gibt nur diesen dargestellten Moment.

A: Wie entstehen Deine Bilder?

An: Bei Lovely hatte ich auf einmal dieses Bild im Kopf und zwar genau so, wie es jetzt ist und ich hatte das Glück, dass mir ein perfektes Modell über den Weg gelaufen ist; bis auf die Haare. Ich habe schnell die Perücke gekauft und diesen Kasten gebaut und zum Schluss war ich verblüfft, dass sich das, was da rausgekommen ist, so exakt mit meiner Vorstellung gedeckt hat.

Bei den Masken war das anders. Meine anfängliche Vorstellung war viel düsterer: Wehende, schwarze Gewänder, ein wüster Sturm, wie Die Pest von Alfred Kubin, verbunden mit dem Wunsch, wie Bonnard zu malen. Sehr zärtlich. Darum habe ich den Masken farbige Kleider gegeben. Ich wollte Muster, Wildheit haben, verbunden mit den Harlekin-Themen von Watteau. In der Bibel steht: „Maria bewegte diese Worte in ihrem Herzen.“ Und so wende ich manchmal eine Vorstellung sehr lange in mir herum.

A: Was ist an dem Thema Freundschaft und Liebe so interessant für dich?

An: Ich finde daran interessant, dass das jeder interessant findet. Was hat das für einen Sinn, wenn man mit der Kunst nicht die wichtigsten Sachen im Leben beschreiben kann? Mir ist das zu langweilig, mit der Kunst immer nur die Kunst zu beschreiben.

A: Liebe und Freundschaft ist das verbindende Thema deiner Bilder.

An: Vielleicht eher Liebe und Verlangen .

A: Aber das Ausleben von Liebe und Verlangen scheint nur in losgelösten, fernen Räumen möglich zu sein.

An: Bilder sind an sich statisch. Interessante Frage, warum ich keine Filme mache, obwohl in meinen Bildern so viel Bewegung stattfindet. Aber ein Bild ist eben etwas, das wie ein Punkt in der Zeit steht, der keine Ausdehnung hat und dadurch vermittelt sich natürlich auch ein Gefühl von Ewigkeit. Wenn du dir einen Tizian ansiehst, dann ist dieses Geschehen, was sich vor dir, in dir abspielt, tatsächlich dasselbe, was sich bei jemandem vor fünfhundert Jahren im Kopf abgespielt hat. Das Verrückte ist ja, dass es schon so unglaublich viele Menschen gegeben hat und immer noch gibt! Diese merkwürdige Art von Trauer ist in meinen Bildern enthalten: Dass ein Einzelner gar nichts ist und gleichzeitig auch alles.

A: Deine Bilder und Figuren lassen den Betrachter nicht mehr los, kommen wieder, mit einer Botschaft. Bist du dir dessen bewusst?

An: Wie meine Figuren auf andere wirken?

A: Dass sie diese traumartigen Wesen sind. Obwohl sie wie wir picknicken, fernsehen.

An: Es geht mir nicht darum, eine fantastische Welt zu erfinden, es geht mir darum, etwas sehr Reales, etwas sehr Bekanntes zu beschreiben, was wiederum sehr schwer zu fassen ist. Das hat dann mit mir zu tun. Ich würde mich nicht für ein Bild interessieren, was nicht verbildlicht, was wirklich wichtig für mich ist. In dem Moment, in dem es fertig ist, löst es sich komplett von mir ab, kann mich zurück anschauen. Und wenn es das nicht tut, habe ich es nicht gut genug gemalt oder es ist das falsche Bild.

A: Deine Bilder sagen: Ich bin nicht davon abhängig, ob du mich ansiehst. Ich mache auch weiter, wenn du nicht da bist. Deine Figuren haben eine Unabhängigkeit, die ich sehr bestechend finde. Was ist das Geheimnis?

An: Das Geheimnis ist ganz einfach, dass sie gemalt sind.

A: Da könnte ich ja auch böse sagen: Ich male ein Strichmännchen und jetzt bin ich dem Strichmännchen egal.

An: Nein, nein, das meine ich nicht. Ich meine, sie sind auf eine Art gemalt, dass du sie als echte Menschen identifizierst, dass du zu ihnen ein Verhältnis entwickelst. Trotzdem werden sie dir nie antworten können, sich auch nur einen Zentimeter auf dich zu bewegen, sie können sich dir nicht zuwenden, sie gibt es ja nicht wirklich, das ist nur Farbe auf Leinwand. Das ist ja das Verrückte an der Geschichte. Es ist so ein bisschen wie mit Träumen. Oder?

A: Ja, absolut!

An: Ja? Diese Figuren, Bilder gibt es unabhängig von dir, trotzdem ist es so, als hättest du sie geträumt, als hättest du sie hervorgebracht, tatsächlich habe ich sie hervorgebracht und jetzt sind sie da. Sie verschwinden auch nicht einfach wieder. Das ist ja das Seltsame. Du kannst den Ausstellungsraum verlassen, und jemand anders kommt herein und dann sieht er die Bilder und dann werden sie in seinem Kopf wieder lebendig.

A: Soll der Betrachter an etwas erinnert werden? An eine Zartheit, Ursprünglichkeit? An das Leben?

An: Für mich ist wichtig, dass nicht nur Liebe dargestellt wird, sondern, dass ich meine Bilder liebe und wenn es gut geht, dann überträgt sich das auf den Betrachter.

A: Und wie würdest du deine Orte beschreiben?

An: Bei mir gibt es immer ziemlich viel Unterholz. Ich weiß auch nicht, warum. Zweige, Gestrüpp. Als Kind bin ich viel durch den Wald gerannt. Bei mir gibt es immer viel Wald.

A: Und wo liegen diese Orte?

An: Im Inneren.

A: Führ das mal ein bisschen aus, das ist interessant.

An: Hast du jetzt nicht langsam mal genug?

A: Nein!

AN: Das sind Orte, die mir aus der Kindheit vertraut sind, die aus ganz vielen Erlebnissen zusammengefügt sind. Wie man sich durch Zweige gekämpft hat, sich daraus aber auch Höhlen bauen konnte, in denen man ganz für sich war, gleichzeitig hatte man ein bisschen Angst, weil man nicht wusste, was da kommen mag. Die Eltern sind sehr weit weg und das Zuhause auch. Mir war das gar nicht so klar, dass ich so viel Gestrüpp male. Nur hinterher fällt es mir auf: Oh Gott, jetzt habe ich mir schon wieder so viele Ästchen aufgeladen.

In: Modern Painters, Winter 2002, p. 94-97