Dr. Sabine Arend
Konservatorische Probleme bei der Konservierung von Objekten aus Kunststoffen

 

Kunststoffe sind ein gar nicht mehr so junges Material, wie ich bei meinen Recherchen für diese Einführung festgestellt habe. Die ältere Bezeichnung „Plastik“ leitet sich vom griechischen Adjektiv „plastikos“ bzw. dem Verb „plassein“ ab und meint formen und formbar. Zum Teil werden heute noch Bildhauer als Plastiker bezeichnet.[1] Während das Wort Plastik also auf die Formbarkeit des Materials abhebt, betont das Wort Kunststoff die künstliche Herstellung des Werkstoffes, von „Menschenhand“ geschaffen. Übrigens ein Wort, das es in keiner anderen Sprache gibt. [2]

Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Kunststoffprodukte entwickelt. Ab 1839 wurden abgewandelte Naturstoffe verwendet, um natürliche Stoffe zu imitieren. So wurden z.B. Schildplatt und Elfenbein durch Cellulosenitrate, d.h. Pflanzenfasern[3], die mit Nitrat[4] versetzt waren, imitiert.[5] Die Zeit zwischen 1914 und 1950, und diese ist für uns hier heute von Interesse, ist durch die „Verwendung der vollsynthetischen Kunststoffe als Ersatzmaterial geprägt, da wegen der beiden Weltkriege eine großer Mangel an natürlichen Roh- und Werkstoffen bestand.“ [6]

Die in der Vitrine für kurze Zeit ausgestellten Objekte sind aus solchen künstlichen Stoffen hergestellt. Aus welchen Materialien genau, bedarf noch der Untersuchung.

Durch ihre Materialität oder Berichte von Überlebenden des KZ wissen wir jedoch, dass viele der Objekte aus Zahnbürstenstielen geschnitzt wurden. Eine andere mögliche Grundlage bildeten Knöpfe aus der Textilfabrik oder Isolatoren aus der Elektroindustrie. Eine dritte Materialquelle stellen transparente Kunststoffe dar, wie sie in der Flugzeugindustrie für Flugzeugkuppeln eingesetzt wurden.

Somit haben wir es unter anderem mit Cellulosenitraten, Celluloseacetaten, Phenolplaste[7]: Bakelit[8], Plexiglas[9], Kaseinformaldehyd[10] und Polyvinylchloriden (PVC)[11] zu tun.

Wie die Namen schon andeuten, enthalten einige dieser Kunststoffe, Cellulose, d.h. Holzfasern, die mit verschiedenen Chemikalien behandelt bzw. gemischt werden und dann als Vulkanfiber[12], Parkesine oder Celluloid Verwendung für Zahnbürsten, Kämme, Knöpfe, Lichtschalter u.a. fanden. Polyvinylchloride[13] wurden ebenso wie Kaseine[14] für elektrische Isolatoren eingesetzt. Zu diesen Materialien hatten die in der Rüstungsindustrie eingesetzten Häftlinge Zugang.

Die Forschungen zur Konservierung und Restaurierung von Kunststoffen steht noch am Anfang. Zu Objekten nach 1945, vorwiegend aus DDR Produktion, gab es von 2009-2012 ein Forschungsprojekt zwischen dem Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e.V. in Eisenhüttenstadt und der Fachhochschule Köln, Lehrstuhl Professor Friederike Waentig. Ein vergleichbares Forschungsprojekt zu Kunststoffen vor 1945 existiert bislang nicht. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, Lehrstuhl für Konservierung und Restaurierung Professor Ruth Keller wird die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück in diesem Frühjahr erste Schritte zur Untersuchung und Konservierung der in den Sammlungen der Gedenkstätte vorhandenen Kunststoffobjekte gehen. Wir sind sehr dankbar für diese Kooperation. Unter Leitung von Professor Keller und dem Restaurator Linke werden Studierende an Zahnbürsten und einigen Miniaturen die Materialzusammensetzung untersuchen. Außerdem sollen Empfehlungen für die weitere Lagerung der Objekte erarbeitet werden.

„Alle Materialien, auch Kunststoffe, zerfallen im Alter.“ [15]

„Organische Werkstoffe, darunter auch die Kunststoffe, degradieren wesentlich schneller als anorganische. Innerhalb der synthetischen Stoffe sind große Unterschiede in der Stabilität zu verzeichnen. Einige können sehr rasch, d.h. innerhalb weniger Jahre, verfallen; während andere über Jahrzehnte unverändert überleben. “ [16]

Hat der Zerfallsprozess – die Konservatoren sprechen von Degradation – bereits eingesetzt, ist er nicht mehr zu stoppen oder umzukehren. [17]Daher kommt der fachgerechten Lagerung eine große Bedeutung bei, um diesen Zerfallsprozess möglichst langsam ablaufen zu lassen. Dazu zählen eine Aufbewahrung zwischen 15 und 20 Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 60 Prozent und Licht unter 50 lux.

Der Großteil der in den Sammlungen der Gedenkstätte vorhandenen Objekte ist in einem sehr guten Zustand. Obwohl gerade die Miniaturen über viele viele Jahre ausgestellt waren, einige über 20 Jahre im ersten Lagermuseum im Zellenbau, sind die meisten von ihnen unbeschädigt. Seit dem Umzug in den sanierten Garagentrakt verfügen Archiv und Depot über eine Klimabox, wo wir sowohl eine konstante Temperatur als auch eine konstante Luftfeuchtigkeit gewähren können. Auch sind die Objekte dort lichtgeschützt.

Sie sehen nachher aber auch, dass wir drei Objekte nur als Foto zeigen: zwei Miniatur-Hunde und einen Brieföffner. Hier haben bereits Zerfallsprozesse eingesetzt. Die Verfärbungen sind ein erstes Zeichen für beginnende Zersetzungsprozesse.

Die Art der Rissbildungen lässt auf Cellulosenitrat als Grundstoff schließen. Hier hat sich herausgestellt, dass durchsichtige Kunststoffe eher gefährdet sind als opake Materialien, was nach Meinung der Forschung an dem höheren Nitratgehalt im transparenten Material liegen kann.[18]

Kurt Thinius spricht von einem “Zusammenwirken einer Reihe von Vorgängen physikalischer wie auch chemischer Art, die sowohl auf der Oberfläche wirken als auch vom Bau des Moleküls aus (….), sozusagen von ihnen her, zu Schädigungen und schließlich zu Zerstörungen des hochpolymeren Werkstoffs führen. Charakteristisch für die Alterung ist also die Einstellung eines irreversiblen Endzustandes.“[19]

Vereinfacht kann man sagen, dass eine Art Kristallisierungsprozess von Innen einsetzt, der zur Absprengung von Objektteilen führt, was die allmähliche Zerstörung der Zahnbürsten und Schnitzereien zur Folge hat.

Eine Herausforderung bei der Konservierung ist, dass oft nicht bekannt ist, um welchen Werkstoff es sich handelt, wie er hergestellt und verarbeitet wurde. Denn alle diese Faktoren haben ebenso wie die Frage, ob und welche Weichmacher oder Stabilisatoren beigesetzt wurden, Einfluss auf den Erhaltungszustand.

So kann es schon bei der Herstellung zu Verunreinigungen des Werkstoffes gekommen sein, die später zu Auflösungserscheinungen führen.[20] Oder es gab Fehler bei der Herstellung, so dass kleine Hohlräume Ausgangspunkt von späteren Zerfallsprozessen werden. Wir wissen so gut wie nichts über die biologischen, chemischen und mechanischen Einwirkungen auf die Objekte. Mirkoorganismen wie Pilze und Bakterien können Objekte aus PVC gefährden. Und natürlich wie schon erwähnt Klimaeinflüsse.[21]

Wie bereits erwähnt, steht die „Aktive Restaurierung von polymeren Kunststoffen (…) … noch weitgehend am Beginn der Entwicklung. (…) Bis weitere Ergebnisse vorliegen, bleibt die passive Restaurierung, d.h. präventive Maßnahmen, der wichtigste Handlungsrahmen, der eine solche Lagerung der Objekte beinhaltet, dass sie für etwaige spätere Behandlungen noch zur Verfügung stehen.[22]

Mit der Kooperation mit Professor Keller werden wir weitere präventive Maßnahmen erarbeiten. Geplant ist aber auch, 3 D Scans von den Miniaturen anfertigen zu lassen und sie somit in ihrer Form für die Nachwelt zu sichern. Das würde auf längere Sicht auch die Möglichkeit bedeuten, Nachbildungen auszustellen, so dass die Originale im geschützten Depot verbleiben können. Für diese Vorhaben bitten wir daher um eine Spende.

 

[1] Vgl. Friederike Waentig: Kunststoffe in der Kunst. Eine Studie unter konservatorischen Gesichtspunkten. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2004, S. 12.
[2] Vgl. Waentig 2004, S. 12. „The German language fortunately has an excellent word that describes all man-made raw materials and that is ‚Kunststoffe’.“ John Harry DuBois: Plastics History USA, Boston 1972, S. 2.
[3] Die Cellulose (häufig auch Zellulose) ist der Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden (Massenanteil etwa 50 %) und damit die häufigste organische Verbindung und auch das häufigste Polysaccharid (Vielfachzucker). Sie ist unverzweigt und besteht aus mehreren hundert bis zehntausend β-D-Glucose-Molekülen (β-1,4-glykosidische Bindung) bzw. Cellobiose-Einheiten. Die Cellulosemoleküle lagern sich zu höheren Strukturen zusammen, die als reißfeste Fasern in Pflanzen häufig statische Funktionen haben. Cellulose ist bedeutend als Rohstoff zur Papierherstellung, aber auch in der chemischen Industrie und anderen Bereichen. http://de.wikipedia.org/wiki/Cellulose
[4] Nitrate sind die Salze und Ester der Salpetersäure (HNO3). http://de.wikipedia.org/wiki/Nitrate
[5] Vgl. Waentig 2004, S. 12.
[6] Vgl. Waentig 2004, S. 12.
[7] Phenoplaste (DINKurzzeichen: PF) sind duroplastische Kunststoffe, die auf Basis von Phenolharzen durch Aushärtung hergestellt werden. http://de.wikipedia.org/wiki/Phenoplast
[8] Formaldehyd (Durch Hydrolyse von Methylendiacetat (aus Methylenjodid und Silberacetat) 1859.
[9] Waentig 2004, S. 39. Polymethylmethacrylat (PMMA)
[10] Galalith. Aus Protein Kasein (Milch, Erdnüsse, Sojabohnen, Maiskeime) mit Formaldeyhd. Waentig 2004, S. 226.
[11] Aus Kohle gewonnene Acetyle plus Quecksilbersalze, Vgl. Waentig 2004, S. 239.
[12] Vulkanfiber (ungeleimtes Papier mit Zinkchloridlösung) Seit 1859. Vgl. Waentig 2004, S. 27.
[13] Aus Kohle gewonnene Acetyle plus Quecksilbersalze. Waentig 2004, S. 239.
[14] Gute elektrische Isolatoren, Regler am Radio, Einlagen in Möbeln. Vgl. Waentig 2004. S. 226
[15] Waentig 2004, S. 149.
[16] Waentig 2004, S. 149.
[17] Alternativformulierung: Hat die erst einmal begonnen, ist es fast unmöglich, diesen Prozess aufzuhalten, oder gar umzukehren. Daher ist es wichtig auf erste Anzeichen zu achten und auch auf Faktoren, die diese einleiten.
[18] Waentig 2004, S. 209.
[19] Kurt Thinius: Stabilisierung und Alterung von Plastwerkstoffen, Bd. 1 Stabilisierung und Stabilisatoren von Plastwerkstoffen, Berlin 1969, S. 16.
[20] Waentig 2004, S. 152.
[21] Klimaeinfüsse wie Sonneneinstrahlung, Wärme, Sauerstoff, Feuchtigkeit, Regen, Staub, Stickoxide ua., Vgl. Waentig 2004, S. 152.
[22] Waentig 2004, S. 168.